Radikale Erinnerung
In „Traumaland“ geht Asal Dardan der gesellschaftspolitisch brisanten Frage nach, wie v.a. in Deutschland die Aufarbeitung der Verbrechen des NS-Terrorregimes erfolgt (ist) – und worin dabei die Verantwortung jede*r Einzelnen bestehen könnte. In kritischer Auseinandersetzung mit einer offiziellen Erinnerungskultur, deren Gedenkveranstaltungen und musealen Aufbereitungen letztlich primär der Legitimation der herrschenden politischen Akteure dienen, nimmt sie uns mit auf eine „Spurensuche in deutscher Vergangenheit und Gegenwart“. Entlang von (Erinnerungs-)Orten, Gebäuden, Monumenten in deutschen Städten wie Berlin, Köln, Dessau, Hoyerswerda bringt sie NS-Gräueltaten mit (aktuellen) fremden- und minderheitenfeindlichen Gewalttaten rechter Provenienz nach 1945 in Verbindung. Dardan nimmt auch Bezug auf (psychoanalytische) Analysen rassistischer Wahrnehmungs- und Bewertungsmuster etwa von Frantz Fanon und Julia Kristeva. Die Verdrängung, das – vielleicht bewusste, vielleicht auch unbewusste – Vergessen, ermögliche die Reproduktion der Gewaltstrukturen: im Denken, im Sprechen, im Handeln. Dardan schreibt gegen ein vereinheitlichendes, hierarchisierendes Denken an, das sich über ein diskursiv konstruiertes nationales ‚Wir’ den als solchen festgeschriebenen ‚Fremden’ als überlegen entgegensetzt – und damit deren Ausgrenzung, Ausbeutung, Vertreibung, letztendlich Vernichtung legitimiert. Sie veranschaulicht diesen Erklärungsansatz u.a. mit der immens angestiegenen Zahl rechtsextremer Terrorakte rund um die deutsche Wiedervereinigung und klagt dabei den mangelnden Aufklärungswillen der Behörden und das mediale Victim Blaming an. Ein material- und kenntnisreiches Buch über die Komplexität und Aporien individuellen wie kollektiven Erinnerns. Mit vielen ergreifenden biographischen Skizzen von gewaltsam abgebrochenen Lebenswegen versucht Dardan gleichwohl, dem individuellen Leid gerecht zu werden: über die Analyse gesellschaftlicher und (transnationaler) politischer Machtverhältnisse sowie über die radikale Infragestellung der Beschönigung eigener Beteiligung.
SaZ
Asal Dardan: Traumaland. Eine Spurensuche deutscher Vergangenheit und Gegenwart. 288 Seiten. Rowohlt, Hamburg 2025 EUR 24,00