Spiegelungen

Die in einem Gefängnis in Berlin arbeitende Psychotherapeutin Mania reist blitzartig nach Wien, um sich auf die Suche nach ihrem Kindheitsfreund Tomek zu begeben, der spurlos verschwunden ist. Ihre Freundin Ruth, Zahit, ein syrischer Flüchtling und Sue, Tomeks Hund, unterstützen und begleiten sie dabei. Alles in allem keine leichte Aufgabe, da sie außer einigen tagebuchartigen Einträgen von Tomek wenig eindeutige Spuren vorfindet, bis Ruth, die Hackerin ist, Tomeks Handy in Polen orten kann. Der spannend zu lesende Debutroman von Kaśka Bryla bearbeitet stofflich verschiedenste Themen. Freundschaft, Flucht, Missbrauch, Suizid und Sadismus, um die wichtigsten zu nennen, werden so eingeblendet, dass sie wie Begleitmusik im Hintergrund wirken und trotz der feinen Klinge ständig präsent bleiben. Es geht um den Kern, wie ist die menschliche Seele konstituiert und was hält sie aus. Dieses führt zu einer ungemein starken Authentizität der verschiedenen Figuren. Eine Stärke des Romans liegt darin, dass er weniger einen gesellschaftlichem Gesamtentwurf anbietet, sondern den tagtäglichen Wahnsinn multiperspektivisch verarbeitet und die damit einhergehenden Brüche hervorkehrt. Stark sind die Gedanken und Dialoge, die meisterhaft von der Autorin geführt werden. Sie wirken nicht nur wie aus dem Leben gegriffen, sondern sind impulsleitend für weitere Diskurse, die noch miteinander zu verhandeln sind.

ML

Kaśka Bryla: Roter Affe. 232 Seiten, Residenz, Salzburg/Wien 2020 EUR 22,00