Spuren kolonialer Narben 

Die Erzählstimme des Buches Kambili, das sechzehnjährige Mädchen nigerianischer Herkunft, lebt in einer diktatorisch durchstrukturierten Welt, die von ihrem Vater bestimmt wird. Kambilis Familie, bestehend aus ihrem Bruder Jaja und den Eltern, lebt in wohlhabenden Verhältnissen und ist äußerst großzügig gegenüber ihren katholischen Glaubensbrüdern und -schwestern. Der Vater, als Symbol der Kolonialherrschaft und seiner Kontinuitäten, ist streng katholisch und verachtet die Traditionen und Kultur seines Landes bis zu dem Grad, dass er seinen eigenen Vater in ärmlichsten Verhältnissen sterben lässt, da dieser nicht zum Katholizismus konvertieren will. Die politischen Umbrüche in Nigeria sind die Rahmenbedingungen der Geschichte, es wäre jedoch wünschenswert gewesen, mehr darüber zu erfahren. Das Leben der Familie besteht aus Kirchgängen, langen Tischgebeten, penibel einzuhaltenden Stundenplänen für die Kinder und dem Schweigen und den Schlägen des Vaters. Ifeoma die Schwester des Vaters und ihre Kinder durchbrechen sowohl das Schweigen, wie auch die unhinterfragte Autorität des Vaters. Die Aufenthalte in Nusakka bei Ifeoma verändern die Realität von Kambilis Familie. Der Bruch mit den kolonialen Kontinuitäten erweckt Kambilis und Jajas Lebenslust, welche die Auflehnung gegen die patriarchale Vaterfigur zur Folge hat. Ein sehr einfühlsames Buch über koloniale Narben und die Wiederaneignung von nigerianischer Realität. Joanna Wilk

Chimamanda Ngozi Adichie: Blauer Hibiskus. Roman. Aus dem Englischen von Judith Schwaab. 336 Seiten, Fischerverlag TB., Frankfurt/M. 2015 EUR  11,30