Theorie der Subjektivierung

Aktuelle Berichte zur Verteilung von Vermögen belegen es: Ein großer Teil der Bevölkerung lebt in materiell schwierigen Verhältnissen, obwohl es Mitteleuropa finanziell vergleichsweise gut geht. Auch vor der Krise ist es für Armutsbetroffene schwer, etwa die Wohnung zu heizen oder eine Waschmaschine anzuschaffen. Phries Künstlers Studie leistet einen Beitrag zur Theoretisierung und Empirie von Subjektivierung vor dem Hintergrund sozialer Ungerechtigkeit. Dabei legt sie den Fokus auf die Prekarität der Mutterschaft. Künstler geht der Frage nach, wieso Menschen, die unter prekären Bedingungen leben, sich der Hilflosigkeit oft geschlagen geben und sich selbst nicht automatisch als ein politisches Subjekt wahrnehmen. Aus dem Blickwinkel der Erziehungswissenschaft arbeitet Künstler mit einer kritischen Gesellschaftstheorie, wenn sie die Subjektwerdung als einen performativen Prozess versteht: Vom unbewusst prekären Objekt zum bewusst handelnden Subjekt. Argumentativ gestützt von Judith Butler und Isabell Loreys Konzept der ‚Regierung der Prekären‘ wird deutlich, dass das Anzweifeln scheinbarer Gewissheiten zwar von der poststrukturalistischen Kritik gefordert wird, eine gänzliche Emanzipation, gerade aus der prekären Mutterschaft heraus, aber unmöglich ist. Die entworfene Utopie besteht in dem Eingebundensein in eine Gemeinschaft, in der verletzliche Denk- und Lebensformen möglich sind. Lesetipp für feministische Fans von poststrukturalistischen Theorieansätzen der Subjektwertung.

PS

Phries Sophie Künstler: Prekäre Subjektivierung. ‚Kämpfe ums Möglichwerden‘ im Kontext von Mutterschaft und Erwerbslosigkeit. 310 Seiten, transcript, Bielefeld 2022 EUR 44,00