Vom Wesen des Wartens
Nach ihrem furiosen Debutroman „Chaya“, zahlreichen Essays und Gedichten legt die Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin Kathy Zarnegin nun ein schmales Bändchen vor, bei dessen Erscheinungszeitpunkt noch nicht absehbar war, wie sehr es ein Grundgefühl im Leben mit der Pandemie beschreiben würde: Warten. In Paragraphen unterteilt, die zwischen einem kurzen Satz und mehreren Seiten lang sind, liegen „Exerzitien des Wartens“ vor, die von Lesenden genau dies erfordern. Es bedarf einer Zeit dazwischen, bevor von einem Gedanken über das Warten zum nächsten übergegangen werden kann. Zarnegin lotet aus, was in dem eigentlichen Nichts des Wartens alles steckt, warum es in Gruppen schwieriger als alleine auszuhalten ist, wie es sich Kindern als grundsätzliches Noch-Nicht offenbart, wie es Menschen in Warteschlangen im spontanen Gespräch verbindet, wie auch Tiere warten (wenn auch aus viel bedeutsamerem Grund) und wie sehr das Warten von einer (und sei es ungewissen) Zukunft bestimmt ist, die dann wohl eine bedeutsame ist. Die Philosophin Zarnegin wird kenntlich mit den zahlreichen Verweisen auf Nietzsche, Platon, Kraus, Blanchot, Marcuse, Derrida, Camus uvm., deren Perspektiven zum Warten erörtert, ihre Gedanken mit Warten verknüpft oder widerlegt werden. Die Lektüre gestaltet sich erkenntnisreich, erfordert Geduld (die mit Warten und zusätzlich mit Langeweile verknüpft ist), weil so erfrischend die Einsichten sind – verschlingen lassen sie sich nur um den Preis des augenblicklichen Vergessens ihres Inhalts.
Meike Lauggas
Kathy Zarnegin: Exerzitien des Wartens. 80 Seiten, BUCHER, Hohenems/Vaduz/München/Zürich 2020 EUR 13,50