Von der Mutter enttäuscht

Zusammengetragene 20 Jahre Schreib- und Forschungsarbeit der praktizierenden wie lehrenden Psychoanalytikerin, inklusive Filmanalysen zum Thema Vergänglichkeit und Unsterblichkeitswunsch – das führt zu Überschneidungen und leider sind die Beiträge nicht datiert… Eine psychoanalytische Ausbildung braucht die Leserin nicht für die Lektüre, ein bisschen Vorwissen schon. Interessant ist ihre zentrale These vom Unglaublichen Bedürfnis zu glauben – ein Buchtitel Kristevas, die das Glauben als anthropologische Konstante (noch vor jeder institutionalisierten Konfession) annimmt, da der Mensch (in seinen hilflosen Lebensanfängen) das Wohlwollen der Mitmenschen als gegeben annehmen muss, um zu überleben. Freud verwies Religion – als Wunschbild eines allmächtigen Vaters – in den Bereich der Regression. Seine Nachfolger haben das Unbewusste als Ursprungsort von spirituellen Erfahrungen analysiert; darauf beruft sich Rohde-Dachser und analysiert Freud himself. Aufgrund von Interviews will sie auch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Zugänge zum Thema Tod erkannt haben – denen zufolge sei der ‚vieldiskutierte’ Penisneid (so ihre kurze Wiedergabe einer langen Tradition von Kritik an diesem) eine Metapher, nicht körperlich zu verstehen, sondern „alles Mögliche“ meinend und eine „kreative Leistung“ der Frau, der die Überhöhung von Penis zu Phallus im Umgang mit der Todesangst hilft und sie vor dem endgültigen Tod rettet. Damit prolongiert sie auf anachronistische und ärgerliche Weise das Patriarchat. Immerhin: in einem Abschnitt über die Wandlungen des Ich-Begriffs beschäftigt sie sich auch mit der neueren Objektbeziehungstheorie, die einen anderen Blick auf die sogenannte Mutter-Kind-Dyade und die Rettung daraus durch den Vater hat (vgl. z.B. Jessica Benjamins
Die Fesseln der Liebe).
Karin Reitter
Christa Rohde-Dachser: Was sich verändert und was bleibt. Beiträge zur psychoanalytischen Sozialpsychologie und zur Film­psychoanalyse. 380 Seiten, Psychosozial Verlag, Gießen 2021 EUR 41,10