Weibliche Lust als Potenzial für mehr Lebendigkeit
Die Psychoanalytikerin Alcira Mariam Alizade erkundet behutsam und mit anschaulichen Fallgeschichten und Traumschilderungen die Welt weiblicher Sinnlichkeit und Sexualität. Sie kritisiert Freuds Konzeptualisierung der psychosexuellen Entwicklung der Frau am männlichen Modell und bietet alternative Erklärungen zum Phallozentrismus. An Didier Anzieus Begriff des „Haut-Ichs“ ansetzend arbeitet sich die Autorin durch Schichten und Hüllen, durch Verletzungen und Entwertungen von Weiblichkeit hindurch zu einer neuen Sicht auf die weibliche Sinnlichkeit, die nicht auf Sexualität reduziert ist. Wie kann sich die weibliche Potenz entfalten? Dieser Frage geht Alizade als Theoretikerin und Praktikerin nach. Ihre Gedanken entlang der grundlegenden Bisexualität des Menschen machen das Buch auch für queer theories spannend. Kontrovers zu diskutieren bleibt Alizades Interpretation des weiblichen Masochismus. Sie versteht ihn als positiv besetzte Möglichkeit, den Narzissmus zu transformieren, sich selbst zu dezentralisieren und aus dem Wissen um den eigenen Tod ein Instrument zu machen, um den Mangel und die Endlichkeit der menschlichen Existenz besser zu ertragen und sogar zu genießen. „Eine leidenschaftliche Reise durch ein Meer von Wörtern, bei der viele Klippen umschifft werden mussten“, so schildert die Autorin ihren Schreibprozess. Ein Buch voller Sprachbilder, die die psychoanalytische Theorie lebendig machen. Bettina Zehetner, Frauen beraten Frauen
Alcira Mariam Alizade: Weibliche Sinnlichkeit. Übersetzt aus dem Spanischen von Nora Sieverding. 244 Seiten, Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt/M. 2014 EUR 30,80