Zwei Mütter
Entlang einer mehrtägigen Flussreise spannt die junge Autorin Lorena Salazar ihren ersten Roman, der dichterisch klar formuliert ist und manchmal fast an einen inneren Monolog erinnert. Die Weiße Protagonistin fährt auf einem Fluss im Nordwesten Kolumbiens mit ihrem Schwarzen Sohn in den Ort ihrer eigenen Kindheit, um dort erstmals die leibliche Mutter des Jungen wiederzutreffen. Die Reise ist nicht nur wegen des Flusses gefährlich, auch die Angst, den Sohn an dessen leibliche Mutter zu verlieren, ist groß: „…ine Mutter fürchtet, jeden Moment ihr Kind zu verlieren, und ich fürchte mich doppelt, weil es nicht meins ist.“ Obwohl die leibliche Mutter ihr das Kind überlassen hat, plagen die Protagonistin Verlustängste und Schuldgefühle, die daraus resultieren, (vermeintlich) nicht die Mutter des Jungen zu sein, sich das Kind nicht durch Schmerz verdient zu haben. Spätestens beim Aufeinandertreffen der zwei Mütter wird deutlich, dass es für den Jungen nicht nur eine richtige Mutter gibt, aber erst in einem tragischen Schluss gibt es auch für die Protagonistin darüber schmerzhafte Gewissheit.
Lorena Salazar hat die Reflexion um Adoptiv- und Pflegemutterschaft in einen Roman gepackt, dessen zweites großes Thema aber noch ein ganz anderes ist: die politischen und bewaffneten Kämpfe in Kolumbien zwischen Rebellen und Paramilitärs, die der Autorin in ihrer eigenen Kindheit einen großen Verlust beschert und den Fluss zur Wunde gemacht haben.
Eva Hallama
Lorena Salazar: Der Fluss ist eine Wunde voller Fische. Aus dem Span. von Grit Weirauch. 176 Seiten, Blumenbar, Berlin 2022 EUR 20,60