Zwischen den Welten

Van, von Beruf Lektor und Mitte Vierzig, ist tot – überfahren durch seine eigene Frau. Vor seinem abrupten Ende führt er, der vietnamesischstämmige französische Intellektuelle in Paris, mit Frau und Tochter ein Leben, das ihn über die Jahre immer weniger befriedigt. Sein ehemals erfüllender Beruf verliert für ihn an Bedeutung, die Kluft zwischen ihm und seiner Frau Lou scheint sich beständig zu vergrößern, und auch die Beziehung zu Laure, seiner siebzehnjährigen Tochter, ist durch Vorwürfe und Reibereien gekennzeichnet. Vans Alkoholkonsum erreicht langsam das Niveau der bergehohen Manuskriptstapel auf seinem Schreibtisch, deren Abarbeitung ihn zunehmend überfordert, als Ulla in sein Leben tritt und diesem eine Wendung gibt. Was es damit auf sich hat, erschließt sich erst langsam im Verlauf des Romans, der Stück für Stück den Blick auf einzelne Teile des Mosaiks enthüllt. Vans Geschichte, die aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt wird und jeweils auch die Geschichten der erzählenden Personen selbst preisgibt, ist nicht nur die Geschichte einer Lebenskrise. Die Autorin Linda Lê, selbst in Vietnam geboren und in frühen Jahren nach Frankreich gekommen, erzählt mit großer Genauigkeit und sprachlichem wie inhaltlichem Reichtum auch eine Geschichte von Entwurzelung und vom Verlorensein zwischen Orient und Okzident.  Helga Lackner

Linda Lê: Flutwelle. Roman. Übersetzt von Brigitte Große. 320 Seiten, Dörlemann Verlag AG, Zürich 2014EUR 23,50