Unser lieber Arthur Schnitzler
Marie Haidinger, ein Mädel vom Lande, erhält eine Stelle als Kindermädchen im Hause Arthur Schnitzler. Petra Hartliebs „Ein Winter in Wien“ erzählt handwerklich solide und sprachlich leichtfüßig aus der Perspektive Maries vom Arbeitsalltag eines Kindermädchens in der undurchlässigen Klassengesellschaft um 1910. Geschildert wird die harte Lebensrealität Wiener Dienstbot_innen (die Kälte, die Sprachlosigkeit, die Armut, die sexuelle Gewalt) vor der Fassade einer schillernden und zugleich heimeligen gutbürgerlichen Welt. Marie hat den Sprung geschafft, im Hause Schnitzler erhält sie eingeschränkt Zugang zu einer neuen Wirklichkeit: eine Wirklichkeit der Bücher, der Sprache und der Sorglosigkeit. Von Olga Schnitzler argwöhnisch beobachtet, erarbeitet sich Marie die Liebe der beiden Kinder Lilli und Heini ebenso wie die Freundschaft der Köchin Anna und den Respekt des Haus¬herren, der aus Maries Sicht alle Ideale einer bürgerlichen Männlichkeit ungebrochen verkörpert: liebender Vater, nachsichtiger Ehemann, autonomer Künstler, gerechter Dienstherr. Als sich Marie auf eine romantische Liebesgeschichte mit dem Buchhänd¬ler Oskar einlässt, ist das Wintermärchen perfekt. Petra Hartlieb ist es gelungen, ein Stück gut gemachte Unterhaltungsliteratur zu schreiben, das an kalten Dezembertagen eine wohlige Wärme ausstrahlt, sich gut im Weihnachtsgeschäft verkaufen lässt, das imperiale Wien abfeiert und trotzdem nicht ganz in den Kitsch abgleitet.
Ursula Knoll
Petra Hartlieb: Ein Winter in Wien. 173 Seiten, Kindler, Reinbek bei Hamburg 2016 EUR 17,50