„Ehre der Arbeit, Genosse …“

Sandra Brökel hat die Lebensgeschichte des Prager Psychiaters Pavel Vodák (1920–2002), basierend auf dessen verschriftlichten Erinnerungen, akribisch und mit Empathie nachgezeichnet. Es ist ihr gelungen, ein Stück Vergangenheit lebendig werden zu lassen, das im Kontext von Migration und Zuwanderung nach Europa aktueller nicht sein könnte. „Das verbindet die Sterbenden mit den Flüchtenden. Sie brechen auf in eine ungewisse Zukunft. Beide ängstigen sich vor dem Unbekannten. Sie wissen nur, dass es kein Zurück gibt.“
Dreh- und Angelpunkt bildet das Jahr 1968 und die Niederschlagung des Prager Frühlings. Vodák – getragen von der Hoffnung auf einen menschlichen Sozialismus in der Tschechoslowakei – ist aktiv involviert in die konspirativen Treffen jener Zeit, bei denen v. a. Intellektuelle gesellschafts- und kulturpolitische Reformkonzepte diskutieren, erarbeiten und publizieren. Als ihm nach dem Scheitern der „Konterrevolution“ untersagt wird, zu Kongressen in westliche Länder zu reisen, und er (scheinbar) als
„Staatsfeind“ von ihm nahestehenden Menschen beobachtet wird, beschließt er, mit Frau und Tochter das Land zu verlassen. Vodáks/Brökels Schilderung nicht nur der Flucht zeugt von Spannung, die sich authentisch liest und in ihren Bann zu schlagen vermag.
Die Gattungsbezeichnung „Familienroman“ mag irritieren, handelt es sich doch einwandfrei um eine Biografie, auch die Briefe sind Originale. Pavel Vodáks Tochter Pavli übergab Brökel, mit der sie befreundet war, die Aufzeichnungen ihres Vaters. Sie füllte Leerstellen und verhalf so einem Vermächtnis zur Buchpublikation.
Karin Ballauff
Sandra Brökel: Das hungrige Krokodil. Familienroman. 318 Seiten, Pendragon Verlag, Bielefeld 2018 EUR 17,50