Dreifache Abwertung
Die sorgfältig aufgebaute und gut lesbare Studie, die aus der Dissertation der Autorin hervorgegangen ist, nutzt in flexibler Weise das Konzept der Intersektionalität. Mithilfe von zwölf Interviews nähert sie sich der Frage an, wie die Kategorien Alter, Leben in der DDR bzw. Ostdeutschland, und Geschlecht die Selbstpositionierung älterer Frauen aus Ostdeutschland prägen. Die lebensgeschichtlichen Erzählungen der Interviewten werden daraufhin befragt, wie die dreifache strukturelle Abwertung angenommen und zurückgewiesen, individuell ‚bearbeitet‘ und auch produktiv gewendet wird. Die Anrufung von Erfahrungen und Erlebnissen, in denen sich mehrere Ka-tegorien kombinieren, spielt dabei ebenso eine Rolle, wie das Fehlen solcher Anrufungen. Ungeachtet aller Unterschiede zeigt sich, dass manche Zuschreibungen, so die Zuständigkeit für Haus- und Reproduktionsarbeit, naturalisiert werden, während „ostdeutsch“ zu sein durchgängig als kollektive Abwertung erfahren wird. Der umfängliche erste Teil des Buchs gibt einen guten Überblick über die strukturelle Hervorbringung der drei Kategorien in der gesellschaftlichen Realität und der Forschung, sowie über methodische Fragen. Die Studie zeigt in erhellender Weise, wie sich die Abwertung der Ostdeutschen über die lebensgeschichtliche Verarbeitung von Erfahrung konstituiert.
Susan Zimmermann
Anna Sarah Richter: Intersektionalität und Anerkennung. Biographische Erzählungen älterer Frauen aus Ostdeutschland. Beltz Juventa, Weinheim/Basel 2018 EUR 42,70