Meisterin der kleinen Form
Die Welt von Mrs. Orlando ist finster. Sie weiß, woher ihr Gefahren drohen und versucht gegen alle Eventualitäten wie Hunger, Kälte oder Langeweile gewappnet zu sein. Sie telefoniert stundenlang mit ihren Töchtern, und spricht dabei jedes Mal über die Vorahnung einer Katastrophe. Um Deutsch zu lernen ist Mr. Burdoff für ein Jahr in Köln bei einem kleinen Angestellten und seiner Familie untergebracht. Burdoff verliebt sich in eine üppige Norwegerin, von der er in den Gefühlsüberschwang des 19. Jahrhunderts gerissen wird, um am Ende verlassen zu werden und einsam im Zug abzureisen. Für eine Frau und ihren Mann wird die Jagd nach Mäusen zum Sinnbild ihrer gescheiterten Beziehung. Lydia Davis betrachtet das Leben ihrer Geschöpfe wie durch ein Vergrößerungsglas. Auf traurig-komische Art beschreibt sie menschliche Abgründe, gescheiterte Beziehungen, aber auch hoffnungsvolle Wendungen des Lebens. Davis‘ präziser Blick fällt dabei auf Alltagsspleens und -ängste, auf „ein paar Dinge, die bei mir nicht in Ordnung sind“. Manchmal braucht Davis nur wenige Zeilen zur Verdichtung der Wirklichkeit. Dafür wiegt der Inhalt in Sätzen wie „Die Tatsache, dass sie ein alter Mann war, machte es ihr schwer, eine junge Frau zu sein“ umso schwerer. Lydia Davis, geboren 1947 in Massachusetts, zählt zu den wichtigsten amerikanischen Erzählerinnen der Gegenwart. Sie übersetzt auch aus dem Französischen (u.a. Marcel Proust) und dem Deutschen (u.a. Robert Walser oder Peter Altenberg).
Ute Fuith
Lydia Davis: Es ist, wie’s ist. Aus dem amerik. Engl. von Klaus Hoffer. 176 Seiten, Droschl, Wien 2020 EUR 22,00