Erwachsenwerden in der Fremde
Das Erdbeben in Friaul im Jahre 1976 lässt die einstmals getrennten Kanaltaler wieder näher zusammenrücken. Die dreizehnjährige Vera wird aus dem italienischen Venzone, einem Dorf nahe der Grenze, nach Villach zu ihrem Großonkel geschickt, um nicht in einem Zelt oder als Aufpasserin kleiner Kinder dahinvegetieren zu müssen. Onkel Hans, Omas Bruder, ist ein deutschsprachiger Kanaltaler aus Pontebba bzw. „Pontafel“, der für das Deutsche Reich optiert hat und seinen Hass auf die Italiener nur schwer begraben kann. Daher gefällt es dem vaterländischen Despoten natürlich gar nicht, dass Veras Vater so ein feiger Verräter ist und es auch einen kommunistischen Nonno und eine um ihren Lieblingssohn trauernde Nonna in ihrem Leben gibt. In diesem Spannungsfeld sucht die Jugendliche mit sprachspielerischer Fantasie und ihrem Drang nach Selbständigkeit nach einer eigenen Identität. Dabei stößt sie dann auch noch auf ein gut behütetes Familiengeheimnis. In ihrem Roman „Arigato“ widmet sich Ursula Wiegele einem Mosaikstein der österreichischen Zeitgeschichte, der noch nicht so häufig in das Bewusstsein der Nachkommen vorgedrungen ist. Gleichzeitig analysiert sie feinsinnig die politischen und geschlechterspezifischen Abgründe der Nachkriegsgeneration. Die Flüchtlingsproblematik macht den Roman gleichzeitig auch sehr aktuell.
Cornelia Axmann
Ursula Wiegele: Arigato. 195 Seiten, Otto Müller Verlag, Salzburg 2020, EUR 22,00