Durch Handeln zum Träumen und zurück
Lose Netzwerke revolutionärer Klubs und Volksversammlungen mit Forderungen nach radikaler Umverteilung und der Zerschlagung verhasster staatlicher Autorität bilden den Humus, aus dem 1871 die Pariser Kommune ersteht. Auch wenn sie nur 72 Tage Bestand hat, so wirken die Erkenntnisse, die mit und aus ihren kollektiven Erfahrungen erwachsen, in anarchistischen oder kommunistischen Strömungen weiterhin nach. Ross spürt dieser Gedankenwelt der Kommune nach: Nicht „große Theorien“ stehen im Fokus, sondern sich verbreitende Vorstellungswelten von freier Assoziation, Selbstverwaltung, der strikten Abkehr von Privateigentum und Geldwirtschaft. Es ist erfrischend zu lesen, wie eine utopistische Gesellschaft auf einem nicht entfremdeten Arbeitsbegriff aufbaut, der Lust und Sinnlichkeit mit umfasst, der die Trennung von Kopf und Hand oder nützlich und kunstvoll aufhebt. Das Konzept der Gleichheit, der ganzheitlichen Bildung und der „Arbeit von allen für alle“ bezieht Menschen aller Geschlechter oder Herkunft explizit mit ein. Ross legt dar, dass ein gutes Leben für alle – „Luxus“ – hier nicht Ziel, sondern als grundlegende Praxis zu verstehen ist. Kooperation und Solidarität sind keine ethische Haltung, sondern revolutionäre Strategie. Mit Ross ist die Kommune eine Parabel dafür, wie sich Ideen im und durch Handeln manifestieren. Ein mitreißendes Buch, das ermutigend ist und sich als inspirierend für eine Radikalisierung gegenwärtiger ökosozialer Bewegungen lesen lässt: der Ausgangspunkt für eine Umgestaltung der Gesellschaft frei von Ausbeutung von Mensch und Umwelt kann alles sein und jederzeit. Auch jetzt.
Lisa Grösel
Kristin Ross: Luxus für alle. Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune, 200 Seiten, Matthes & Seitz, Berlin 2021 EUR 20,60