Poesiekränzchen
Simone Hirth süßt ihren Kaffee ein Jahr lang mit Poesie, führt ein Jahr Buch über ihre ambivalente Beziehung zur Poesie. Die personifizierte Poesie ist sprunghaft und unberechenbar, nichtsdestotrotz führt sie eine tiefe Freundinnenschaft mit der Autorin. Dabei stellt die Bücherei einen Rückzugsort dar, auch wenn sie in Corona-Zeiten nicht immer geöffnet hat. Hirth schafft sich jeden Tag eine neue Welt und unterhält mit charmanten Wortspielen. Immer wieder wird sie in dieser Gedankenwelt von Poet*innen, Künstler*innen oder feministischen Pionier*innen besucht, so gesellen sich beispielsweise Ingeborg Bachmann, Sappho, Astrid Lindgren, Margot Pilz, Elfriede Jelinek oder Friederike Mayröcker zu den Kaffeekränzchen mit der Poesie. Es wird intertextuell auf Mythologien oder Märchen Bezug genommen, Hirth lädt Orpheus und Medea, Rapunzel und das Rumpelstilzchen ein, sogar die Raupe Nimmersatt und Moby Dick schauen zur Tür hinein. Hirth errichtet in ihrem Tagebuch eine metaphorische Bücherei, in der die Poesie weiter tobt, inspiriert und sich auch von einem Virus nicht ausrotten lässt. Die Poesie hat noch ein ganz anderes Ziel: die Gleichberechtigung. So schreibt sie einen Brief an den Feminismus, kämpft gegen das Patriarchat und Vorgesetzte, die Frauen* beim Onlinemeeting nicht zu Wort kommen lassen. Ein Tagebuch, das das Jahr der ersten Corona-Pandemie mit Humor reflektiert, aber nicht vor Ehrlichkeit zurückscheut.
Lilia Holder
Simone Hirth: 365 Tassen mit der Poesie. 180 Seiten, Literaturedition Niederösterreich 2021 EUR 20,00