Vietnamesische Familiengeheimnisse

Als Kiều eine Facebook-Nachricht von ihrem Onkel aus den USA erhält, in der sie und ihre Familie eingeladen werden, gemeinsam das Testament ihrer kürzlich verstorbenen Großmutter zu besprechen, fängt die Dreißigjährige an, sich näher mit ihrer Familiengeschichte zu beschäftigen. Kiềus Eltern, beide um das Jahr 1968 aus Vietnam nach Deutschland eingewandert, hatten ihr nie viel von ihrer Vergangenheit erzählt. Doch jetzt fliegt Kiều nach Kalifornien und wird dort neben einem kleinen Kulturschock auch mit ungeahnten Familiengeheimnissen konfrontiert. Klar wird ihr auf der Reise vor allem, dass die Vergangenheit sehr unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden kann und einfaches Schwarz-Weiß-Denken für die Darstellung komplexer historischer Ereignisse unzureichend ist. Die Autorin wechselt gekonnt zwischen Vergangenheit und Gegenwart, indem sie einmal die Protagonistin in erster Person sprechen lässt, um dann wieder aus Sicht der auktorialen Erzählerin von den Erfahrungen der Elterngeneration zu berichten. Wie nebenbei werden Verstrickungen vietnamesicher, deutscher und amerikanischer Geschichte beleuchtet und der Leserin auf sehr persönliche Weise nähergebracht. Der leicht ironische Unterton und die sanften Seitenhiebe auf die Studentenbewegung der 68er in Deutschland, die sich als intellektuell, links und vor allem moralisch überlegen versteht, zeugen von Humor, während der Roman auch vor ernsten Themen nicht zurückschreckt und historische Ereignisse mit differenziertem Blick darstellt.
ReSt
Khuê Phạm: Wo auch immer ihr seid. 299 Seiten, btb, München 2021 EUR 22,70