Klingende Weiten

Sophy Roberts verfolgt in ihrem Debüt ein extravagantes Ziel: Sie sucht in Sibirien nach dem perfekten Klavier für die mongolische Pianistin Odgerel Sampilnorov. Was die Reisejournalistin auf ihrer rasanten Jagd findet, sind aber nicht nur historische Instrumente an ungewöhnlichen Orten, sondern auch unzählige Geschichten. Roberts erzählt etwa von der Pianomanie im Zarenreich, als Musiker wie Franz Liszt wie Superstars verehrt wurden oder von Frauen wie Maria Wolkonski, die im 19. Jahrhundert ihrem Mann in die sibirische Verbannung folgte und dorthin ihr Klavier mitnahm. Mit Hilfe der Musik gelang es ihr, die schwierigen Lebensumstände zu überstehen. Aber spannender als Roberts’ geschichtliche Exkurse sind die Begegnungen mit noch lebenden Menschen. Da ist der ehemalige Flugnavigator Leonid Kaloschin, der seinen Job aufgab, um in einem kleinen Dorf im Altai eine Bücherei aufzumachen und einen Konzertsaal zu bauen. Oder die blinde Irina Schdanowa-Kamenskaja in Chabarowsk, die ihr geliebtes Klavier für wenig Geld verkaufen musste, als wirtschaftliche Not sie dazu zwang. Schade nur, dass Roberts in ihrem heftigen Herummäandern nicht öfter innehält, um ihren Begegnungen das Flüchtige zu nehmen.
Ute Fuith
Sophy Roberts: Sibiriens vergessene Klaviere. Aus dem Engl. von Brigitte Hilzensauer. 400 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2020 EUR 26,80