Verbrechen der Macht

Das vorliegende Werk der argentinischen Feministin Rita Segato vereint acht Beiträge und einen von ihr kreierten Leitfaden für die Lektüre geschlechtsspezifischer Gewalt, die in den Jahren 2004–2018 entstanden sind. Wer sich bereits mit ihren Inhalten auseinandergesetzt hat, wird einige ihrer Thesen wiedererkennen. Ihre qualitative Studie zu Femizid-Tätern in brasilianischen Gefängnissen wird auch hier argumentativ eingearbeitet. Die Hauptthese ist, dass Verbrechen mit sexuellen Mitteln aus dem Willen zur Herrschaft abzuleiten sind und nicht mit einem sexuellen Begehren verwechselt werden können. Sie schlüsselt Vergewaltigungen mit Todesfolge in zwei Kategorien auf, indem sie häusliche Beziehungstaten als Femizide und Auftragsmorde an Frauen in der Öffentlichkeit als Femigenozide bezeichnet. Letztere sind Taten, die unternommen werden, um nicht nur das Opfer auszulöschen, sondern um die Gesellschaft zu unterminieren. So sind auch Vergewaltigungen in Kriegen ein Mittel, den Feind insgesamt zu schwächen.

Trotz der Tatsache, dass es immer mehr Gewaltschutzgesetze und rechtliche Verurteilungen gibt, sind diese aus Segatos Sicht nicht ausreichend, um die patriarchale Gewalt zu stoppen oder die Gesellschaft zu ändern. Räumlich bezieht sie sich dabei auf Lateinamerika und auf kriegerische weltweite Konfliktzonen, wenn sie das Muster der Femigenozide analysiert. Eine Beendigung der Gewaltspirale gegenüber Frauen und Kindern, die symbolisch für die Unterwanderung der gesellschaftlichen Ordnung steht, ist nur zu erreichen, wenn die Frage des Patriarchats ins Zentrum gerückt wird und das Mandat der Männlichkeit demontiert wird. Wie diese Demontage erreicht werden kann, umschreibt sie im Leitfaden. Es geht weniger um eine Orientierung an staatlichen Kräften, sondern um die Organisierung in den eigenen Reihen. Lesenswert!

ML

Rita Segato: Femizid. Der Frauenkörper als Territorium des Krieges. Aus dem argent. Span. von Sandra Schmidt. 287 Seiten. Unrast, Münster 2022 EUR 20,40