Poetisch-soziologische Autobiografie
Eine Abtreibung mit siebzehn, der Tod der besten, lebenslangen Freundin Anfang 50 und eine neun Monate dauernde intensive Liebesbeziehung bald darauf – in diesen drei Abschnitten ihrer Paris-Trilogie erzählt Colombe Schneck von bestimmenden Ereignissen ihres Lebens. Sie tut dies auf eine direkte, ungeschminkte, lakonische Art, die soziologische Analyse, detailgetreue Schilderung und schonungslose Selbstreflexion vereint. Der Annie Ernaux gewidmete erste Teil zeichnet die Zäsur nach, die die – keineswegs dramatische, sondern von der Familie tolerierte – Abtreibung in das unbeschwerte Leben einer leichtsinnigen, ihre Privilegien selbstverständlich genießenden Bürgertochter bringt und entwirft dabei in Bourdieuscher Manier ‚en passant‘ das Sittenbild einer liberalen bürgerlichen jüdischen Familie der 1970er und 1980er Jahre in Paris, ihrer Auf- und Ausstiegsstrategien, ihrer Privilegien, ihrer verdrängten Tragik. Geschärft wird diese bürgerliche Selbstanalyse im Mittelteil, in dessen Zentrum die tödliche Krebserkrankung von Héloise, der als ‚Zwillingsschwester‘ bezeichneten Kindheitsfreundin, steht. Und dies nicht nur unter einem feministischen Aspekt, sondern der vergleichende Lebensrückblick lässt die Umgangsweise der in vielen Einzelheiten als großbürgerlich ausgewiesenen, als überaus diszipliniert, konventionell, aber auch wohlmeinend, ja naiv beschriebenen Freundin mit ihrer Krankheit und dem Tod als Ergebnis ihrer Herkunft und Erziehung erscheinen. Wie sich die autobiografische Protagonistin Colombe, die im Gegensatz zu Heloise nach ihrer gescheiterten Ehe kein zufriedenstellendes Ventil in amourösen Beziehungen findet, im wörtlichen Sinne ‚freischwimmt’ und ein lebbares Verhältnis zu ihrer Geschichte und nicht zuletzt zu ihrem Körper entwickelt, ist das Thema des dritten Teils dieses intensiven, aufregenden und intelligenten Textes.
SaZ
Colombe Schneck: Paris-Trilogie. Ein Frauenleben in drei Romanen. Aus dem Franz. von Claudia Steinitz. 208 Seiten, Rowohlt, Hamburg 2024 EUR 25,50