Die Grande Dame der Nouvelle Vague

Die Filmkritikerin Carrie Rickey hat nun die erste Biografie der 2019 verstorbenen, eindrucksvollen Filmemacherin Agnès Varda verfasst. Allein das Oeuvre von Varda, umfasst ca. 65 Jahre Filmpraxis. Die französische Avantgarde-Künstlerin war zunächst Fotografin, wechselte zum Film und war zuletzt noch Installationskünstlerin. Carrie Rickey beschreibt anhand von Varda, wie schwierig es in den 1960er Jahren für Frauen als Filmemacherinnen war, an Förderungen zu gelangen, zumal nur ein geringer Anteil der in der Branche Beschäftigten Frauen waren. Dennoch konnte Varda mit innovativen Lowbudget-Produktionen in ihrer Schaffensperiode sämtliche wichtige Filmauszeichnungen gewinnen. Der Herzensmensch für Varda war der Filmemacher Jacques Demy, an dessen Werk Varda auch nach seinem frühzeitigen Tod erinnerte. Varda verarbeitete in ihrem eigenen filmischen Werk zwischen Dokumentation und Fiktion Inhalte wie gesellschaftliche Armut, Rassismus, Konsumgesellschaft und Feminismus. Frauen wurden in ihren Filmen endlich als Subjekte inszeniert. Bei feministischen Demonstrationen setzte Varda sich für weibliche Quotenregelungen in den Jurys oder bei Förderungen für Filmschaffende ein, und als sie in frühen Jahren von einem Mainstream-produzenten in die Wange gekniffen wurde, reagierte sie mit einer Ohrfeige. Sie war der MeToo-Debatte zeitlich weit voraus. Rickey schafft ein vielfältiges, gut recherchiertes Bild der imposanten Filmmacherin. Neben den hervorgehobenen erschwerten Produktionsbedingungen ihres Werkes als Frau wird Vardas Interesse an sozialen Bindungen, ihre Menschlichkeit, ihre Kreativität, ihr Kampfgeist und ihr unermüdliches Erkenntnisinteresse an neuen Technologien gewürdigt. Große Empfehlung!
ML
Carrie Rickey: Agnès Varda. Filmemacherin – Künstlerin – Feministin. Aus dem Engl. von Bert Rebhandl. 312 Seiten, Henschel Verlag, Leipzig 2025 EUR 28,80