Ambivalenzen zur Ware „Sex“

Aktuelle Debatten rund um Prostitution/Sexarbeit oszillieren zwischen dem Bild des ausgebeuteten Opfers von Gewalt sowie der selbstbestimmten Anbieterin* einer Dienstleistung. Dass diese widersprüchlichen Auffassungen eine grundlegende Ambivalenz darlegen, die sich von der Antike über die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft bis hin zur gegenwärtigen neoliberalen Gesellschaftsformation durchzieht, ist Ausgangspunkt dieses Buches. Ist die Institution der Prostitution ein Verbrechen der Gesellschaft an Frauen* oder von Frauen* an einer moralisch-integren Gesellschaft? Verkauft die ‚Hure’ (Begriff, den die Autorin in Anlehnung an die Hurenbewegung als emanzipatorisches Konzept re/positionieren möchte) sich selbst als objektifizierte Ware oder als autonomes Subjekt die Ware der ‚sexuellen Lust’? Auf fast 600 Seiten analysiert die Autorin in historisch-materialistischer Weise die Spezifizität des Gewerbes durch die Verschränkung von Sexualität, Subjektivität, Arbeit und Warenform und zeichnet detailliert nach, wie sich die Konzeption von Prostituierten* hin zu Sexarbeiterinnen* und damit auch verbunden die rechtlichen Regelungen durch die geschichtliche Veränderung dieser Kategorien vollzogen hat. Die Verwobenheit der ökonomischen Verhältnisse sowie der Geschlechterverhältnisse mit der Struktur des Gewerbes und des ideologischen Diskurses aufzuzeigen, ist einer der Verdienste dieses Buches, das eine wichtige Ergänzung aktueller Debatten ist. Absolute Leseempfehlung.

Maria Hörtner

Theodora Becker: Dialektik der Hure. Von der ‚Prostitution‘ zur ‚Sex-Arbeit‘. 592 Seiten, Matthes und Seitz, Berlin 2023 EUR 38,00