Arbeiter, Soldaten und Frauen
In ihrer Dissertation untersucht die Historikerin Veronika Helfert Revolution und Rätebewegung (1918-1922) in Österreich aus einem frauen- und geschlechterhistorischen Blickwinkel. Dabei folgt sie der Tradition von Geschichtsschreibung als Kritik und überprüft etablierte Erzählstrukturen auf blinde Flecken. Dazu stellt sie Frauen und ihre Erfahrungen ins Zentrum und hinterfragt damit das Narrativ der „Revolution der Männer“. Den Beginn der Revolution setzt sie mit 1916 an und dehnt den Untersuchungszeitraum bis 1924 aus. Historisch gut belegt sind die Lebensmittelknappheit während der zweiten Hälfte des Ersten Weltkriegs und die damit einhergehenden Hungerkrawalle, die “innere Front”, an der v.a. Frauen aktiv kämpfen, protestieren und streiken. Doch sowohl staatliche Behörden als auch Vertreter*innen der organisierten Arbeiter*innenbewegung definieren die Proteste als unpolitisch. „Kämpferisches“ Verhalten von Frauen, weibliche Militanz gilt als untypisch, wird mit Skepsis beobachtet und diffamiert. Wie die verschiedenen Akteur*innen und die Fotos der Arbeiter*innenbewegung dieser Zeit beweisen, steht die Figurine dem disziplinierten revolutionären Arbeiter gegenüber. Die Autorin bezieht unterschiedliche linke Akteur*innen ein, umreißt anhand von Diskursen zu Militanz, Revolution und Gewalt, Arbeit, Hausarbeit und Arbeitslosigkeit, Gemeinsamkeiten und Differenzen linker und linksradikaler Organisationen und Gruppierungen. Sie zeigt Ein- und Ausschlüsse, Vernetzungen und Netzwerke der Frauen und den politischen Werdegang einzelner Aktivistinnen auf. Die komplizierte Geschichte der Transformation der Habsburgermonarchie zur ersten Republik ist in ihrer Komplexität lesenswert rekonstruiert.
Sena Doğan
Veronika Helfert: FRAUEN, WACHT AUF! Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte von Revolution und Rätebewegung in Österreich, 1916-1924. 399 Seiten. Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft, Band 28, V & R unipress. Göttingen 2021 EUR 52,00