Bei Gewitter

Der Sommer liegt heiß und schwül über Toronto. Rose sitzt im Büro des kleinen Programmkinos, das ihr der Vater hinterlassen hat und das sie gemeinsam mit ihrer Mutter mit Mühe am Laufen hält, als das erlösende Gewitter losbricht. Da passiert es. Rose verliert das Bewusstsein und findet sich plötzlich im Körper einer ihr fremden Frau wieder. Als sie zu sich kommt,ist sie verwirrt, aber auch fasziniert. Ein Migräneanfall? Ein Traum? Kaum hat sie sich von dem Schock erholt, zieht die nächste Gewitterfront heran und sie hat wieder diese Zustände. Schnell lernt sie, sich rechtzeitig an einem sicheren, unbeobachteten Ort einzuschließen, denn ihre Neugierde ist geweckt und sie findet Gefallen am Leben der Fremden, das so viel aufregender ist als ihres. Schließlich macht sie sich auch im realen Leben auf die Suche nach der Frau, in deren Körper sie schlüpfen kann. Getrieben von Erinnerungen an ihre kleine Schwester, die als Kind ums Leben kam, einem Trauma, von dem Rose sich nie erholt hat. Nun gerät ihr Leben aus den Fugen, ihren leicht zwanghaften, spießigen Freund kann sie nicht mehr ertragen, ihre Mutter zeigt Anzeichen von Demenz. Rose steht am Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Ruhig erzählt die kanadische Autorin Barbara Gowdy Roses Geschichte und begibt sich dabei in die Grauzone zwischen Realität und Fantasie. Doch was heißt das eigentlich? Ist Rose psychisch oder physisch krank? Für die Handlung ist das letztlich nicht relevant, denn der Gewittersommer geht irgendwann auch wieder zu Ende.
ESt
Barbara Gowdy: Kleine Schwester. Aus dem Engl. von Ulrike Becker. 237 Seiten, Antje Kunstmann, München 2017 EUR 22,70