Berlin als Hexennetz
Mittels „sinnlicher Ethnografie“ hat Victoria Hegner die verzweigten Netzwerke der Hexen in Berlin untersucht. Also liest sich ihr Buch als eine Mischung aus wissenschaftlicher Studie und persönlichem Erlebnisbericht, wobei Überlegungen zu religiösen Praktiken abseits der anerkannten Weltreligionen ebenso angestellt werden wie politische Erwägungen, zum Beispiel zur Abgrenzung von nationalsozialistischem Gedankengut, das das so genannte „arische Heidentum“ pries. Die Mischung aus Fakten und Anekdoten gefällt mir besonders gut, weil die Begebenheiten dadurch anschaulich beschrieben werden. Wie zum Beispiel sind Hexen (für einander) erkennbar? Wie erkennt frau den Stammtisch der Hexen, den sie in einem bestimmten Lokal sucht, der sich rein äußerlich nicht von anderen Stammtischen zu unterscheiden scheint? Gibt es „geheime“ Erkennungsmerkmale, und wenn ja, welche?
So habe ich Vieles aus dem vorliegenden Buch gelernt, kann mir jedoch auch vorstellen, dass radikale Dekonstruktion heterosexistischer Stereotypen aus dem Thema noch mehr herausholen könnte. Zwar wird von Identifikation vieler weiblicher Hexen mit der „großen Göttin“ erzählt, wodurch „sinnliche Selbstbestimmung“ abgeleitet wird, jedoch verbleibt dieses Bild in der für viele Kulte typischen dichotomen Gegenüberstellung des Männlichen und des Weiblichen. Ähnlich stereotyp ist die Herstellung des Bezugs von Hexentum und autonomer Frauenbewegung der 1980er Jahre, wobei die politische und spirituelle Dimension lesbischer Lebensweisen als Trägerinnen der Frauenbewegung seltsam marginalisiert bleibt.
Katharina Pewny
Victoria Hegner: Hexen der Großstadt. Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin. 330 Seiten, Transcript, Bielefeld 2019, EUR 34,99