Coming of Age in der steirischen Provinz

Gabriele Kögls Roman ist die Entwicklungsgeschichte des Bauernmädchens Andrea, das in der Umgebung von Graz in den 60er Jahren aufwächst. Die Erzählung bewegt sich entlang der Bruchlinie zweier unterschiedlicher sozialer Realitäten: Ihr Leben auf dem Bauernhof in der Provinz mit Eltern, die nach der ständigen harten Arbeit Zeltfeste und Gottesdienste besuchen, sich um Kredite für den Ausbau des als primitiv beschriebenen Hofes bemühen – und dafür notfalls die körperlich aufblühende Tochter als Anreiz einsetzen – wird kontrastiert durch das Leben ihres ersten festen Freundes, Arthur, aus gutbürgerlichen Verhältnissen, Sohn des Richters. Andreas (Un)Glück ist ihre als schwach beschriebene körperliche Verfasstheit. Ungeeignet, am elterlichen Hof mitzuarbeiten, hat sie die Schonung und Zeit, Bücher zu lesen, Schlager und Musik aus Übersee zu hören und in weiterer Folge Betrachtungen ihrer und Arthurs Lebensverhältnisse anzustellen. Die Erzählstimme, sich in Andrea hinein versetzend, wechselt ab der ersten Hälfte des Romans von der Kinder- in die Jugendperspektive. Die Eltern und andere Charaktere erfahren eine wenig tiefe Darstellung. Schmunzeln ruft Andreas Beschreibung des Vaters als Deserteur im 2. Weltkrieg vor Arthurs Onkel, einem Altnazi, hervor. Empathisch wird ein heranwachsender Mensch beschrieben mit einem ambivalenten Verhältnis zur eigenen Herkunft.

Laura Derma

Gabriele Kögl: Gipskind. Roman. 335 Seiten, Picus, Wien 2019. EUR 25,00