Getauft mit dem Wasser des Lebens

Im Mittelpunkt des Romans steht das behütete Aufwachsen von Marie in den 60er Jahren der BRD. Aus der Kindheitsperspektive erzählt, besteht das Werk aus einer ineinander verflochtenen Sammlung von Alltagsgeschichten: Marie beim gemeinsamen Baden mit ihren drei Schwestern, am Mittagstisch mit der Familie, Marie auf dem Schulweg und beim Zahnarzt. Es sind Reisen in die persönliche Innenwelt der Hauptfigur, virtuos erzählt, voller Poesie und leiser Töne. Die christliche Religion sowie ein patriarchales Familienleben sind tief eingebettet in die Erfahrungswelt der Protagonistin. Denken, Fühlen und Handeln finden vielfach Ausdruck in ihren Träumereien und phantastischen Vorstellungen. Dinge werden zum Leben erweckt, Tiere vermenschlicht. Die scheinbare Idylle wird gestört durch das Widersprüchliche an der Gottesfigur: Einerseits ist diese präsent im Gebet und in kirchlichen Ritualen, andererseits wirft Gott als „Abwesender“ mit seiner Dreifaltigkeit, Schuld und Buße viele undurchschaubare Fragen auf. Das Aufbrechen der zur damaligen Zeit herrschenden Geschlechterzuschreibungen deutet sich bei Marie zögerlich an, indem sie etwa einen „Indianer“ als Verkleidung im Karneval wählt oder die Jungen für den Werkunterricht beneidet. Der Schreibtisch des Vaters ist interessanter als die Nähstube der Mutter. In einer bildhaften Sprache wird die Lebenswelt eines jungen Mädchens, dessen Gefühle zwischen Zuneigung und Angst, Zorn und Jubel abwechseln, beschrieben.

Petra Kalleitner

Sabine Peters: Ein wahrer Apfel leuchtete am Himmelszelt. 184 Seiten, Wallstein, Göttingen 2020 EUR 20,60