Die Fotoschatzkisten der Vivian Maier
Eine kleine Bande von regennassen Buben schaut halbstark in die Kamera; Chicagoland, April 1967. Ein Paar mit der faltigen Haut des hohen Alters hält sich an den Händen, die Straße vom Hochsommer sonnengefleckt; 1972. Zufällig entdeckte der Filmemacher und Lokalhistoriker John Maloof im Jahr 2007 Kisten mit rund 140.000 Fotografien, Negativen und belichteten Filmrollen der Fotografin Vivian Maier (1926-2009). Sie gelten als einer der größten ausgehobenen Schätze der Street Photography des 20. Jahrhunderts. Maier – aufgewachsen in den Bronx als Tochter einer bald alleinerziehenden Mutter, den Großteil ihres Erwerbslebens als Kindermädchen beschäftigt – betrieb die Fotografie ganz auf sich gestellt, exzessiv, aber ohne jedes (überlieferte) Streben nach Öffentlichkeit. Seit der Hype um die Unbekannte losgebrochen ist (der ihr zum Glück erspart oder leider verwehrt blieb, darüber wird gern und viel spekuliert), reisen ihre Bilder durch die großen Fotogalerien der Welt, und eins nach dem anderen entstehen Vivian-Maier-Coffee-Table-Bücher. „Die Farbphotographien” versammelt nun eine Auswahl ihrer Dias: Männer mit riesigen Luftballons; Frauen mit überdimensionierten Pelzkrägen; ein Kleinkind, im Stolpern begriffen; auf einem rostigen Rollladen steht: „Just put on a happ face“, das Y fehlt. Ein „happy face“ macht Maier auf keinem ihrer vielzähligen Selbstporträts. Sie schaut ernst, konzentriert, als würde sie einzig darauf achten, wie sie ihre Kleinformatkamera richtig in Position bringt, um das Werk zu vollenden, mit dem sie sich postum an die Spitze der Street Photography katapultieren würde.
Lisa Bolyos
Vivian Maier: Die Farbphotographien. 240 Seiten, Schirmer Mosel, München 2018 EUR 59,70