Die Frage nach dem Menschen

Ingeborg Gleichaufs Biografie über Birgitte Reimann, eine der bedeutsamsten Literatinnen der DDR, konzentriert sich auf die letzten 20 Lebensjahre der Autorin, die bereits mit knapp 40 Jahren an Krebs verstarb. Gleichauf zitiert aus Briefen, Tagebüchern und dem literarischen Werk Brigitte Reimanns, um sich dieser anzunähern, diese greifbar zu machen. Entstanden ist ein facettenreiches Bild über eine zutiefst verletzbare, streitbare Autorin, die um jeden Satz ringt, weil sie es sich zum Ziel gemacht hat, trotz aller Zensurgefahren, die beobachtete Wirklichkeit detailliert zu reproduzieren und nicht zu idealisieren. Ähnlich wie die Hauptdarstellerin in Reimanns wichtigstem Werk Franziska Linkerhand sieht Gleichauf die Autorin als eine leidenschaftliche Beobachterin ihrer selbst und ihrer Umwelt. Die Biografin beschönigt nicht, wenn es um die exzessive Lebensweise und die folgenden Schmerzen der Autorin geht, die aus ihrer Sicht Raubbau am eigenen Körper betreibt. Sie würdigt die Autorin aufgrund ihres kritischen Geistes in einer DDR, die gern die Vision einer harmonisierten Welt in der Literatur angelegt wissen wollte. Diesem Diktat habe sich jedoch die Schriftstellerin nicht unterworfen. Statt sich vereinnahmen zu lassen, lieferte sie literarischen Zündstoff. Eine Biografie, die die Sehnsucht und leider das vorhersehbare Scheitern einer ausgesprochen interessanten Persönlichkeit offen legt, untermalt mit stimmigen, zu jeder Kapitelüberschrift passenden Literaturzitaten.

ML

Ingeborg Gleichauf: Als habe ich zwei Leben – Brigitte Reimann. 165 Seiten, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2024 EUR 18,50