Disziplinierungsrituale

Nach Ansicht von Frevert werden Demütigungen und Beschämungen trotz eines heute international stärker beachteten Menschenrechtskatalogs gesellschaftlich weiterhin praktiziert. Während früher staatliche Repressionsorgane „angebliches Fehlverhalten“ mit einer öffentlichen Zurschaustellung ahndeten, sind es aktuell verstärkt die sozialen Medien mit ihrem unerhörten Verbreitungsgrad, die Individuen oder gesellschaftliche Gruppen an einen symbolischen Pranger stellen und sie moralisch beschädigen. Die Autorin untersucht nach einer Begriffsdefinition historisch Demütigungen anhand verschiedenster gesellschaftlicher Schauplätze wie diplomatisches Terrain, Militär und Erziehungsanstalten und schlussfolgert, dass Missachtung und Geringschätzung zumeist mit folgendem Ehrverlust des Opfers gepaart sind und dass es einen sprachlichen und inkorporierten Zusammenhang zwischen der Politik der Demütigung auf bilateralem staatlichem Parkett und der Demütigung in sozialen Peergroups gibt. Die Vollziehenden verfügen über Macht und reproduzieren diese über Demütigung als Ausschlussszenario. Zahlreiche Quellenangaben und Illustrationen untermauern die Untersuchung, ein Schlagwortverzeichnis erleichtert die effiziente Suche in der Historie. Ein wichtiges Thema in einer Zeit, wo mehr denn je wieder Werte über Exklusion verteidigt werden und gesellschaftliche Normen unzureichend hinterfragt werden! Auch wenn die Autorin für eine gendersensible Analyse Anhaltspunkte bietet, wäre hier eine mikroskopische Analyse wünschenswert.

Antonia Laudon

Ute Frevert Die Politik der Demütigung. Schauplätze von Macht und Ohnmacht. 326 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/M. 2017 EUR 25,70