Düstere Verwirrung
Leni Müller lebt im gutbürgerlichen Berliner Stadtteil Steglitz neben ihrem Stararchitekten-Ehemann ein auf ihren eigenen Wunsch hin sehr eintöniges, aber sicheres Leben als Hausfrau. Die schicke Wohnung verlässt sie nur ein Mal pro Tag, um im nahegelegenen Supermarkt Einkäufe zu tätigen. Dieses Leben bricht zusammen, als plötzlich Kommissar Ziegler in ihrer Wohnung steht und nach Schüssen vom Vorabend fragt. Die für lange Zeit als sicher angenommenen Fixpunkte in ihrem Leben lösen sich in existenzieller Weise auf. Leni irrt auf langen Spaziergängen durch die Stadt. Ihre Begegnungen/Erlebnisse sind im Bereich zwischen Traum, Fiktion und Realität angesiedelt. In dieser Art nähert sie sich ihrem Kindheitstrauma. Den Lesenden erschließt sich selten, in welcher Dimension sich Leni gerade befindet. Inès Bayard hat sich 2020 mit dem Me-Too-Werk Scham einen Namen gemacht. Mit dem aktuellen Buch legt sie eine düstere Novelle mit vielen literarischen Verweisen (Heinrich Böll, Elfriede Jelinek, Arthur Schnitzler) vor. Weibliche Traumatisierung vor dem Hintergrund (schlussendlich) entpersonifizierter Männer – düster und verwirrend.
Beate Foltin
Inès Bayard: Steglitz. Aus dem Franz. von Theresa Benkert. 192 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2023 EUR 22,70