Eine literarische Extinction Rebellion

Die Steller’sche Seekuh, ein sanftes riesiges Meerwesen, ist längst ausgestorben. Im naturhistorischen Museum Helsinki findet sich das Skelett, das von Kindern wegen der Größe oft für ein Saurierskelett gehalten wird. Von hier startet die Erkundung über ‚Das Wesen des Lebens’. Iida Turpeinen durchleuchtet in ihrer Dissertation selbst das Verhältnis von Naturwissenschaft und Literatur. Im Roman gelingt es ihr auf nahezu unheimliche Weise, die Distanz, Gleichgültigkeit und freiwillig praktizierte Destruktivität vieler Forschender darzustellen. Dass ein seltenes Tier selbstverständlich getötet werden muss, um es zu erkunden, wird nicht in Frage gestellt. Eine Art emotionale Blindheit, gekoppelt mit Wissenschaftswahn bilden den Hintergrund der von ihr porträtierten drei Jahrhunderte. Der Text legt sich wie Blei auf die Seele, wenn man für Lebewesen und Natur ein Gefühl hat. Entsprechend führt die Autorin nicht nur ein Register über ausgestorbene, besser gesagt, von Menschen ausgerottete Arten, sondern ergänzt den Text am Schluss mit einem fiktiven Nachruf an all diejenigen, die nach Erscheinen und Lektüre des Buches ausgestorben sein werden. Denn die Dynamik der Zerstörung wirkt fort, nicht allein durch die Errungenschaften eines kapitalistisch inspirierten Lebensstils, für den ‚besser’ immer gleichbedeutend mit ‚mehr’ ist. Ein herzzerreißendes Buch, in akribisch klarer Sprache verfasst und wissenschaftlich sowie historisch präzise, das als Überraschungserfolg bereits in 20 Sprachen übersetzt wird.

Susa

Iida Turpeinen: Das Wesen des Lebens. Aus dem Finn. von Maximilian Murmann. 320 Seiten, S. Fischer, Frankfurt/M. 2024 EUR 24,70