Eine Schnecke und ihre Bedeutung für die Rebellion
„Die Zapatistas kommen nach Europa. Und sie kommen auch nach Wien!“ Als sich diese Nachricht unter den Aktivistinnen des Autonomen FrauenLesbenMädchenMigrantinnen Zentrums (FZ) verbreitete, war klar: Wir laden auf jeden Fall Compañeras ein!
Die geplante Reise und die Möglichkeit in Austausch zu kommen, verbanden wir mit einem selbstorganisierten wöchtlich stattfindenden Spanischkurs. Im Zuge der österreichweiten Vernetzung meldeten wir uns an, Räumlichkeiten für 20 bis 25 und im weiteren Verlauf ca. 40 Frauen aus der Zapatistischen Delegation (und später auch des CNI – Congreso Nacional Indígena) zur Verfügung zu stellen. Während eine Vertreterin des FZ die Verbindung und den Informationsaustausch auf den regelmäßig stattfindenden Online-Treffen mit der Zapalotta-Organisation übernahm, wurde auf wöchentlich stattfindenden Zusammenkünften im FZ überlegt, wie viele Frauen es von uns benötigen würde, um die Versorgung (Großeinkäufe an Lebensmitteln oder die Annahme von Spenden von Foodcoops, …) der Compañeras zu erledigen. Auch die Reinigung und Ausstattung der Räumlichkeiten für die Nächtigungen und die selbstorganisierten Tages- und Abenddienste am Eingang des FZ, um für die Sicherheit der Compañeras zu sorgen, mussten organisiert werden. Dolmetschleistungen und die Verwaltung von Kontakten für medizinische Notfälle und etwaige häusliche Reparaturen waren ebenso vorab zu klären.
Ein Plan wurde aufgehängt, in den sich Freiwillige eintragen konnten, sodass jeden Tag 2-3 Frauen vor Ort waren. Die Frauen, die sich meldeten, waren verlässlich im FZ, andere übernahmen Wege um z.B. spontan ein leistungsstärkeres Internet oder für Handyladekabel passende Stecker zu organisieren. Sie begleiteten die Zapatistas mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, organisierten spontan ein Bett für eine Compa mit Rückenschmerzen usw.
Eine im lateinamerikanischen Kontext verortete FZ-Aktivistin erklärte sich sofort bereit, für die gesamte Zeit des Aufenthalts der Compañeras im FZ zu übernachten, und das tat sie auch. Bis zu deren Abreise war sie über eine Dauer von drei Wochen präsente Ansprechpartnerin und Übersetzerin und stellte eine wesentliche Informationsschnittstelle hinsichtlich geplanter Aktivitäten und Tagesabläufe dar.
Inspiriert durch den Besuch der Zapatistas engagierten sich viele in Europa lebende Frauen aus Lateinamerikanischen Communities, die zum Teil in Wien leben oder als grenzüberschreitend solidarische Internationalistinnen aus Frankreich oder Italien nach Wien angereist waren. Dabei waren auch immer Fragen im Raum, was wir denn besprechen, fragen oder erzählen könnten. Fixe Bestandteile stellten beispielsweise die Sichtbarmachung von Formen feministischer und antirassistischer Kämpfe von Frauen und MigrantInnen dar. Darüberhinaus waren die Treffen von nicht immer konfliktfreien Ausverhandlungen geprägt, wie wir einerseits den unterschiedlichen Bedürfnissen einzelner Kollektive gerecht werden können, um zeitgleich z.B. die künstlerische und politische Arbeit im FZ auch während dieser drei Wochen fortzuführen und andererseits wie der Zugang für ein In-Kontakt-Treten mit den Zapatistas für alle Kollektive gleichermaßen gestaltet werden könnte.
Teile der jahrzehntelangen feministischen Vernetzungsarbeit seitens der FZ-Aktivistinnen ermöglichten bereits in der Vergangenheit internationale Austauschtreffen mit anderen Frauenorganisationen und feministischen Strukturen. So konnte ein Busausflug zu einem kollektiv bewirtschafteten ViaCampesina-Biobauernhof in Niederösterreich – genau am Geburtstag der dortigen Biobäuerin – organisiert werden.
Ein Höhepunkt war die „Fiesta de las mujeres“ im FZ-Hof mit viel Musik und Tanz sowie köstlichen, selbstorganisiert zubereitenen veganen Burgern von Wagenplatz-Frauen.
Zum dichten Programm der Compañeras gehörte u.a. ein Austauschtreffen mit dem Kollektiv des Frauenstreiks, Berichte über die Idee von WenDo – Feministischer Selbstverteidigung und ein Match mit den Zapatistischen Fußballspielerinnen im Augarten. Die Künstlerinnen des FZ stellten ihr Atelier und ihre Projekte vor, wobei zu Mandarinen und Çamlıca gazozu über das Träumen gesprochen wurde, über Mutter Erde und die heilende und nachhaltige Wirkung von Kunst auf die Menschen. Die Künstlerinnen des FZ lernten an „diesem schönen Regentag im 1. Stock, warum die Zapatistas gerne Schnecken zeichnen: Autonome, langsame, aber tüchtige Tiere, die ihre Gedanken langsam ausbreiten.“
Der Discoraum im FZ-Beisl wurde zur erweiterten Küche umfunktioniert: Ein überdimensional wirkender Kocher, angeschlossen an eine riesige Gasflasche und darauf ein fast ebenso großer Kochtopf, welcher sich in der Folge als ein wichtiges Utensil herausstellen sollte. Mit Beginn des ersten Tages, als zur Begrüßung „Caldo de Pollo“ – eine traditionelle mexikanische Hühnersuppe mit Mais – zubereitet wurde, war der Topf im Dauereinsatz. Betreut von einem 2er Team bestehend aus einer in Wien lebenden lateinamerikanischen Aktivistin und einer Internationalistin, während die Zapatistas in der Küche und an der Bar Gemüse vorbereiteten, der Klavierflügel zur Geschirrentnahmestelle umfunktioniert oder zapatistischer Kaffee (wortwörtlich) gekocht wurde.
Eine sehr aktive FZ-Aktivistin, beschrieb die Zeit so: „Die Türen waren offen. Frauen kamen und beteiligten sich, brachten sich ein, unterstützten ganz ohne Einteilung, ohne Hierarchie. Wir waren wieder ein Kollektiv, das ich so in der Art lange nicht gespürt habe. Es war eine Verlässlichkeit da und ein Verantwortungsgefühl. Wir alle wollten den Aufenthalt der Compas angenehm gestalten und sie haben uns gesagt, sie würden sich wie zu Hause fühlen. Wir haben auch gemalt, die Zapas haben mir ein Foto gezeigt und gesagt: ‚Malst du uns das?‘ Und ich hab es einfach gemalt. Es war so viel Liebe und Vertrauen da, ich habe seit fünf Jahren nicht mehr gemalt, aber gewusst, sie werden mich nicht verurteilen oder nach Fehlern suchen.“
Eine Besonderheit und für manche, wie mich, eine Riesenüberraschung stellte der Besuch von Marichuy dar, die als erste indigene Frau 2018 für den CNI – Congreso Nacional Indígena als unabhängige Kandidatin bei den mexikanischen Präsidentschaftswahlen angetreten war. Im Museumsquartier wurde der Film „La Vocera“ gezeigt, eine Dokumentation der Kontaktaufnahme des CNI mit indigenen Gemeinden und unterschiedlichen Dimensionen der Existenzbedrohung und gleichzeitig zeigt der Film den medialen und staatlichen Rassismus und Sexismus gegenüber Indigenen und Frauen auf. Auf Fragen im Anschluss erwiderte Marichuy überzeugt und klar, dass Fragen wichtiger als Antworten seien. Ihre politische Legitimation setzte sie im Weiteren stets in Bezug zu kollektiven Strukturen.
Besonders in Erinnerung sind mir die von den Zapatistas ausgehende Herzlichkeit und Freundlichkeit, die wir erlebten, sooft mir Compañeras im Stiegenhaus, in der Küche oder der Bar begegnet sind. Es war so viel Lebendigkeit, so viel Kollektivität spürbar, die sich schon im Kleinen zeigten, wenn auf ein „Hola!“ unsererseits ein „Hola Compa!“ erwidert wurde. Manchmal war diese Begrüßung von einem kameradinnenschaftlichen Klopfer auf die Schulter gefolgt, den ich als Zeichen des Compañerismo wahrnahm, wonach sie – neben Zusammenhalt, Disziplin, Verantwortlichkeit und Einigkeit – dieses als eines ihrer Prinzipien leben.
Der Besuch der Zapatistas hat bewirkt, dass sich viele Frauen im FZ eingebracht und vernetzt haben. Er hat uns inspiriert, uns Mut gemacht und uns verdeutlicht, dass es zur Rettung der Erde und für das gute Leben den Einsatz von uns allen braucht. Neoliberaler Individualismus schwächt uns im Kampf gegen „das Monster Ausbeutung“ und hilft alleine den Herrschenden. Im gemeinsamen Widerstand geht es nicht primär darum, was für die Einzelne das Beste ist, sondern eben für alle. Denn was für alle das Beste ist, kommt auch wieder Einzelnen zugute.
Einige von uns erlebten die Zeit mit den Zapatistas als eine schönere Wirklichkeit, als die gelebte Utopie des guten kollektiven Lebens in einer eigenen Schnecke (mit span. caracoles meinen Zapatistas ihre autonomen Verwaltungseinheiten) als selbstorganisierter und dynamischer Teil einer größeren Bewegung. Es waren so viele schöne kollektive, verbindende Momente – aus der Freude oder auch der Betroffenheit heraus, als wir von den Mühen und Opfern des Kampfes der Zapatistischen Frauen erfuhren, die sich kollektiv organisieren und sich nach den festgelegten Regeln im „Revolutionären Frauengesetz“ befreien und sich ihren Platz in der EZLN erkämpfen. Diese Präsenz und Verbundenheit hat mir und ich denke auch uns Mut gegeben, dass das FZ, dieser so wichtige und in der Zeit der Anwesenheit der Zapatistas (wieder) geschätzte Ort für Frauen, noch für viele Frauen erlebbar bleibt.
Sie sind nicht gekommen, um nur von sich zu erzählen, oder uns Tipps zu geben – sondern (wie sie selber sagen) um zuzuhören, zu lernen und zu teilen. Begegnungen und Austausch erweitern temporär das Kollektiv und als solches werden wir uns vielleicht auch wieder treffen. Marichuy beschrieb das so: „Wir sind wie ein Kolben Mais, jedes Maiskorn ein eigener Organismus und wichtig für die Stabilität des Kolbens, des Gesamtgefüges.“
FUSSNOTE: Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass es aus Gründen von Zeit, Ressourcen und fehlenden Möglichkeiten des Zusammentreffens nicht möglich war, diesen Text so vielstimmig entstehen zu lassen, wie es die Beteiligung, die Verlässlichkeit und Verantwortung all der vielen Frauen verdient hätte, die nicht nur die Beherbergung der Compas möglich gemacht haben, sondern viel mehr alles Mögliche, das es regelmäßig oder auch unmittelbar und schnell gebraucht hat, um einen Ort für die Frauen zu schaffen, in dem sie autonom leben konnten.
Claudsch, eine Aktivistin des FZ