Erinnerung an eine oft Vergessene
Eine erfrischende Biografie über Alexandra Kollontai mit Hinweisen auf Originalquellen und immer wieder Parallelen zu heutigen Kämpfen. Das Denken und der Kampf der „Revolutionärin, Diplomatin und ersten Ministerin der Moderne“ sowie zweimaligen Anwärterin auf den Friedensnobelpreis, ihre weitreichenden, revolutionären Vorstellungen von Selbstbestimmung, sexueller Freiheit, Frauenemanzipation und Umgestaltung von Familienstrukturen und der gesamten Gesellschaft entstanden nicht unabhängig, sondern auf Basis des politischen und historischen Kontextes. Diesen beschreibt die Autorin neben dem persönlichen Lebensweg von Alexandra Kollontai: die materielle Lage der Arbeiter*innen in Russland zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Entstehung der Frauen- und revolutionären Arbeiter*innenbewegung in Russland und Europa. Und natürlich die Oktoberrevolution, die ein Sprung in der Weltgeschichte war, der viele gesellschaftliche Versuche, auch Alexandra Kollontais, ermöglichte und denkmöglich machte – zumindest in den ersten Jahren. Zwar ist es heute nicht modern, das zu sagen oder zu schreiben, aber die Hinweise darauf, wie weit die Frauenemanzipation in der jungen Sowjetunion, auch verglichen mit heute, schon einmal war, sind dem Versuch der Autorin geschuldet, darzustellen, was war und sich dabei nicht von Voreingenommenheit und Antikommunismus leiten zu lassen. Kurzweilig zu lesen und ein guter Überblick über eine spannende Zeit und eine spannende Frau.
Wanda Grünwald
Maria Wiesner: Radikal selbstbestimmt – Ihrer Zeit weit voraus. Was wir von Alexandra Kollontai lernen können. 127 Seiten, Harper Collins, Hamburg 2022 EUR 13,00