Emanzipation und Prekariat

Biografien schreiben beinhaltet immer fiktionale Elemente, weil Lebensgeschichten als hintereinander ablaufende aufeinanderfolgende Ereignisse dargelegt werden. Das neue Buch der Philosophin und Autorin Kerstin Decker oszilliert zwischen romanhaften Szenen und faktischen Details. Sie hat sich schon mehrfach an die Spuren von Personen aus dem kulturellen Bereich geheftet, etwa Lou Andreas-Salomé und Elisabeth Förster-Nietzsche. Diesmal taucht sie in das Leben von Franziska von Reventlow, Star der Münchner Bohème, Alleinerzieherin und Intellektuelle. Sie zeigt Reventlow als selbstbestimmte junge Frau, die ihrer Herkunftsfamilie und deren Konventionen entflieht, sich von Rollenbildern emanzipiert und Geschlechterkonventionen unterläuft. Es gibt deutliche feministische Aspekte in Reventlows Lebensführung – so geht sie alleine aus Norddeutschland nach München, um Kunst zu studieren, verzichtet auf finanzielle Sicherheit durch einen Verlobten, den sie zwar schätzt, der für sie aber erotisch uninteressant ist. Auch die Reduktion auf eine fixe Beziehung lehnt sie ab, denn Sinnlichkeit ist für sie Erkenntnismodus. Andererseits beschreibt Decker auch Zugeständnisse an männliche Klischées. In gut lesbarem Stil, in den immer wieder Briefe, Tagebücher und literarische Texte eingeflochten werden, entstehen Lebensbilder, die zwischen Tragik und Komik changieren.
Susa
Kerstin Decker: Franziska zu Reventlow. Eine Biografie. 384 Seiten, Berlin Verlag, Berlin 2018 EUR 26,80