Emanzipativer Sadomasochismus

Mit ihrer überarbeiteten Disseration liefert Elisabeth Wagner einen facettenreichen Beitrag zur SM-Diskussion. Sie hat mit 24 SM-Praktizierenden gesprochen, mehr Frauen als Männer, zwei bezeicheten sich als transsexuell, zwei als lesbisch, drei als bisexuell, zwei als schwul. Schon die bewusste und vielfältige Auswahl ihrer InterviewpartnerInnen zeigt, wie sorgfältig sie vorgegangen ist. Ausgangspunkt ist einerseits die aktuelle wissenschaftliche Literatur, in der die Liberalisierungsthese davon ausgeht, dass heutzutage alles möglich und enttabuisiert ist. Demgegenüber steht jedoch eine Skandalisierung in Medien und Öffentlichkeit. Anhand wesentlicher Begriffe wie Normalisierung, Normbruch, Gewalt, Macht und Geschlechterverhältnisse diskutiert Wagner die aktuellen Praxen von SM-Praktizierenden – zwischen Normalisierungs- und Legitimierungsarbeit und den kulturellen Mustern, die hinter dieser Arbeit stehen. SM wird fortwährend in ein Verhältnis zu Normen gesetzt, mit denen sich SM-Praktizierende auseinander setzen (müssen). „SM reflektiert Macht- und Gewaltverhältnisse und übersetzt diese gesellschaftliche Realität in eine gewollte Form des Erlebens.” Interviewpartnerinnen berichten vom besonderen Legitimationsdruck für Frauen: sich selbst gegenüber (sie wollen ein emanzipiertes Leben leben, auch wenn sie im Bett unterwürfig sind) und gegenüber ihrem Umfeld. Wagner widmet sich ausführlich der Frage, „ob sich SM konträr zu Feminismus und Emanizipation verhalte oder ob SM vielmehr eine emanzipative Praxis sei, in der auch Geschlechternormen bewusst, sichtbar und verhandelbar werden”. Dabei bleibt auch Alice Schwarzers Ansicht von SM als per se frauenfeindlicher Praxis nicht unerwähnt. Wagners Literaturarbeit und die Erfahrungen der InterviewpartnerInnen sprechen eher dagegen. Sehr spannend! GaH

Elisabeth Wagner: Grenzbewusster Sadomasochismus. SM-Sexualität zwischen Normbruch und Normbestätigung. 351 Seiten, transcript Verlag, Bielefeld 2014EUR 34,00