Familie reloaded
Sie ist wieder en vogue. LGBQaktivismen verlangen ein Recht auf das „Privileg“ der Ehe und Familiengründung. Das ist erstaunlich, wird doch das Ehe- und Familienkonstrukt schon lange als Besitzverhältnis dekonstruiert. Die Kampfansage an die Kleinfamilie ist den Aufbrüchen der Frauenbewegung eingeschrieben. Gefangen in der ‚Keimzelle des Staates’ konnten Frauen nicht zu Subjekten werden, was besonders der Spaltung öffentlich/privat geschuldet war. Heute gilt das Regie-rungshandeln der forcierten Berufstätigkeit von Frauen und der „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“; dabei geht es um Erwerbsarbeitsoptimierung und nicht um eine Referenz auf Fürsorge, auf „Tätigkeiten, die Menschen erst zum Menschen machen“. Mehrheitlich auf Kosten der Mütter – Billig-Jobs, gratis Familienverantwortung, Verarmungschancen – wird sie zur „Senke für die Defizite, die im Rahmen abnehmender öffentlicher Leistungen entstehen.“ Das betrifft im großen Maßstab Länder wie Griechenland und Spanien, aber auch die Arbeiterklasse in den USA, wo sie als letzter Rettungsanker des Überlebens und der Solidarität erscheint und damit zugleich reaktionäre und anti-feministische Familienmoral wieder gesellschaftsfähig macht. Frigga Haug, Helke Sander, Angela McRobbie, um nur die Prominenz zu nennen, haben (feministisch-) theoriehistorisch und aktuellpolitisch aufschlussreiche Beiträge verfasst. Bei allen Paradoxien bleibt eine einfache Erkenntnis: „Familie ist, wo Kinder sind“ – dieses Grundverhältnis wird es in wechselhaften Formen immer geben.
Birge Krondorfer
Widersprüchliche Ressource Familie. Das Argument. Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften 324 (Heft 4/2017), 160 Seiten, Argument Verlag, Hamburg EUR 13,00