Familienzusammenhalt?

Was hält eine Familie zusammen, wenn die verbindenden Bezugspersonen abhandenkommen? Tatsächlich beschreibt Sylvie Schenk, wie die alltäglichen Vorkomm­nisse nach dem Tod von Familienangehörigen sich entwickeln. Es geht, so versichert der Titel, um gewöhnliche Menschen und gewöhnliche Abläufe. Da ist zunächst das Wiedersehen mit längst fremd gewordenen Cousinen und Cousins. Die stets verschwiegenen Vorwürfe und die heimlichen Konkurrenzgefühle machen sich bemerkbar, wo Geheimnisse oder bessere Beziehungen mit den Verstorbenen vermutet werden. Das Gerangel um das Erbe beginnt, das die ProtagonistInnen nur im nüchternen Zustand halbwegs zu kaschieren versuchen. Die Autorin skizziert die Dynamik von Familien gestochen scharf, ganz situationsbezogen, fast minimalistisch und doch unglaublich inhaltsreich. Sie ist eine Meisterin im Heraufbeschwören von Stimmungen, die sich doch niemand anzusprechen traut. Erinnerungen führen die verbleibenden Familienangehörigen momenteweise zusammen, nur um sie dann umso stärker voneinander zu distanzieren. Sylvie Schenk gelingt es, mit wenigen Szenen ein präzises Porträt der ProtagonistInnen und ihres Familiensystems zu zeichnen.

Susa

Sylvie Schenk: Eine gewöhnliche Familie. 160 Seiten, Hanser, München 2018 EUR 18,50