Für die Gemeinsamkeit, gegen die Familie
„Die Familie abschaffen? Wir könnten genauso gut die Schwerkraft oder Gott abschaffen.“ – So beschreibt Sophie Lewis die Reaktion der meisten Menschen, die das erste Mal von Familien-Abolitionismus hören. Die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Kleinfamilie erscheint geradezu unmöglich. Dabei war es nicht immer so und muss es auch nicht sein. Lewis spricht in ihrem Buch Die Familie abschaffen über die Romantisierung und Idealisierung der Familie und über das Tabu, negativ über Elternschaft zu reden. Dabei ist gerade die Kleinfamilie oft ein Ort, wo Gewalterfahrungen verschwiegen, Erschöpfung verborgen und Missstände hingenommen werden. Nicht zuletzt ist die Familie auch ein Produkt des Kapitalismus. „Die Familie ist der Grund für das Gefühl, zur Arbeit gehen zu wollen, der Grund, warum wir zur Arbeit gehen müssen, und der Grund, warum wir zur Arbeit gehen können.“ Seit der Veröffentlichung ihres ersten Buches Full Surrogacy Now: Feminism Against Family wurde Lewis wohl mit jedem Argument konfrontiert, das potentiell für die Familie sprechen könnte. Genau diese Argumente sind es, die die Autorin nun aufbereitet und eindrucksvoll entkräftet. Dabei geht sie mit Mitgefühl und Sensibilität an ein emotionales Thema heran. Ihr ist durchaus bewusst, dass ihre Forderung etwas Beängstigendes und Anspruchsvolles mit sich bringt. Lewis schreibt sowohl für eine Leserschaft, die noch nicht mit dem Thema vertraut ist, als auch für Leser:innen, die neue Argumente für die geplante Revolution brauchen. In ihrem neuen Buch gibt sie einen historischen Überblick, korrigiert Missverständnisse und definiert, was Liebe ihrer Meinung nach bedeutet.
Michaela Koffler
Sophie Lewis: Die Familie abschaffen. Wie wir Care-Arbeit und Verwandtschaft neu erfinden. Aus dem Engl. von Lucy Duggan. 160 Seiten, S. Fischer, Frankfurt am Main 2023 EUR 22,70