Gefängnistexte

Mit Beharrlichkeit verfolgte Emmy Hennings den Themenkomplex Schuld und Strafe. Die Schriftstellerin, Kabarettistin und Mitbegründerin des Cabaret Voltaire war 1914 in einem Gefängnis inhaftiert gewesen. Ihr erster Roman, 1919 erschienen, trägt den sinnigen Titel „Gefängnis“. Die von Christa Baumberger und Nicola Behrmann herausgegebene kommentierte Studienausgabe vereint diesen ersten mit den beiden anderen, bisher unveröffentlichten, Gefängnistexten aus dem Nachlass. „Das graue Haus“ und „Das Haus im Schatten“ stellen aber keine bloßen Varianten von „Gefängnis“ dar. Das Nachwort versucht sich demgemäß an einer Untersuchung des Verhältnisses, in dem die drei Texte zueinander stehen. Die sehr behutsame Anpassung der Manuskripttexte an orthographische Standards mag irritieren, unterstützt jedoch den Eindruck eines fieberhaften Schreibstils. Zitate aus Volksmund, Bibel und Literatur finden zu einer lebendigen Sprache zusammen. Die jeweilige Protagonistin der drei Texte erfährt ihren jeweiligen Gefängnisaufenthalt als ein zutiefst dubioses Unterdrückungswerkzeug, das sie ergreift und alsdann wieder lässt. Der Themenkomplex Schuld und Strafe wird aber in den drei Romanen von einem individuellen zu einem allgemeinen ausgebaut. Auch der Vorgang der Autofiktion, also der Differenzierung zwischen eigener Biografie und Kunstwerk, verschärft sich. Die nun vorliegende Studienausgabe ermöglicht so einen systematischen Blick auf eine Werkgruppe von Emmy Hennings.  Theresa Luise Gindlstrasser

Emmy Hennings: Gefängnis/Das graue Haus/Das Haus im Schatten. Studienausgabe der drei Romane. Hg. von Christa Baumberger und Nicola Behrmann. 576 Seiten, Wallenstein Verlag, Göttingen 2015  EUR 25,60