Gehen, wohin man will? 

„Eine Frau im Exil, so entfremdet, dass sie die Ihren nicht mehr erkennt. Ihre Hingabe für dieses Land macht sich durch Übereifer verdächtig.“ „Erschlagt die Armen!“ ist der Titel eines Gedichtes von Baudelaire. Die Protagonistin des Romans mit indischer Herkunft schlägt einem Migranten in der Metro eine Weinflasche auf den Kopf und kommt in Polizeigewahrsam. Sie, die als Dolmetscherin einer Asylbehörde gearbeitet und zwischen der Behörde und den AsylwerberInnen vermittelt hatte, findet sich nun einem Beamten gegenüber, dem sie sich erklären soll. Die Leserin taucht in das hochbrisante Thema „Wirtschaftsflüchtlinge“ ein. Sind jene, die Schutz suchen, zum größten Teil Lügner, die ihr Elend erfinden, um die Chancen auf Asyl zu steigern? Für die Protagonistin ist die Asylbehörde eine „Lügenfabrik“, in der die hauptsächlich männlichen Asylwerber immer neue Lügen erfinden. Die Beziehung zwischen der Protagonistin und den Asylwerbern ist von gegenseitigem Misstrauen geprägt.In radikaler Weise und bilderreicher Sprache führt die Protagonistin dem zynischen Staatsapparat seine eigene Logik vor Augen. Shumona Sinha weiß, wovon sie spricht. Sie kam 2001 von Indien nach Frankreich und arbeitete selbst als Dolmetscherin bei der Asylbehörde. Das Buch hat in Frankreich zu kontroversiellen Diskussionen geführt. Der Erscheinung des Buches folgte die Entlassung von Shumona Sinha. Maria Schernthaner

Shumona Sinha: Erschlagt die Armen! Roman. Aus dem Französischen von Lena Müller. 127 Seiten, Edition Nautilus, Hamburg 2015 EUR  18,60