Haftersatz im Wald

Ein Hof am See in den Weiten der finnischen Wälder, wo es kein fließendes Warmwasser gibt und das Holz selbst gehackt werden muss. Dort landet die 19-jährige Leonie als Ersatz für ihre restliche Haftstrafe, die sie in Deutschland absitzen müsste. Und hier sind bereits acht weitere junge Frauen, die teils bereits seit Jahren in diesem Resozialisationsprojekt mit einer Sozialarbeiterin leben. Der Alltag ohne Strom ist ungewohnt und hart: Jede muss täglich etwas beitragen, vom Einkaufen über Kochen, Putzen, händisch Wäschewaschen bis hin zum Versorgen von Tieren. Jede der Anwesenden hat eine Geschichte, die sie hergebracht hat: Sie werden aber nicht darüber definiert, sondern es zählt einzig, wie sie sich einbringen, wie sie miteinander umgehen.Leonie findet das alles und jede bescheuert und will nur weg. Sie beschließt, sich schreibend abzulenken und scheinbar einzufügen, um in Ruhe einen guten Fluchtplan schmieden zu können. Der Roman ist großteils aus ihrer Perspektive erzählt, ab und an wird die Sichtweise der lesbischen Sozialarbeiterin Su eingeflochten, die das ganze Projekt auf die Beine gestellt hat und leitet. Auch sie ist mit einer Geschichte hier, die sie beschäftigt und ihre Einschätzungen prägt.
Die Autorin strukturiert das Geschehen rund um die Selbsthilfekompetenzen der einzelnen Frauen/Lesben angesichts von Krisen und lässt an mehreren Stellen Skepsis psychologischen Ansätzen gegenüber erkennen. Viele Themen kommen vor, von Outing, lesbischem Sex, Neonazis, Suizid, Gewalt und Distanzfragen zur Arbeit. Dieses Debüt von Sophie Herrndorf ist hoffnungsfroh, spannend und gut lesbar geschrieben.
Meike Lauggas
Sophie Herrndorf: Frag nicht nach gestern. 240 Seiten, Querverlag, Berlin 2018 EUR 15,40