Jugendbewegung revisited

In dieser umfassenden Studie soll die bürgerliche Jugendbewegung zwischen 1913 und 1923 in ihrer Gesamtheit dargestellt werden. Antje Harms räumt mit der verklärenden Vorstellung auf, die Jugendbewegung sei unpolitisch gewesen, und stellt in klarer, gut lesbarer Sprache dar, wie sich insbesondere die Gruppierungen des rechten Flügels offen antisemitisch und völkisch positionierten, während sich das linke Spektrum durchaus als progressiv beschreiben lässt. Die Grenzen zwischen den beiden Ströumungen verliefen jedoch nicht immer eindeutig, was u.a. zentral herausgearbeitet wird. Harms verortet ihre Studie in der historischen Generations- und Sozialforschung und verfolgt einen kollektivbiografischen Ansatz, wobei sie akteurszentriert arbeitet und ihrer Forschung ein breites Politikverständnis zugrunde legt. Auf Basis eines umfangreichen Quellenkorpus – von einschlägigen Publikationen, Zeitschriften bis zu Egozeugnissen – zeichnet die Historikerin zentrale Entwicklungslinien der Bewegung nach und veranschaulicht deren Heterogenität. Ausgehend von einer bürgerlichen, eher unpolitischen Wanderbewegung, fand die Jugendbewegung bis 1923 eine breite Anhänger_innenschaft mit verschiedenen, ja kon­troversen (gesellschafts-)politischen Ausrichtungen. Dabei entstanden auch frauenbewegte Gruppen, die Gleichberechtigung forderten, und zwar sowohl im linken als auch im rechten Flügel (wenngleich hier mit völkischer Agenda). Stete Kontextualisierungen seitens der Autorin lassen ein Gesamtbild der Gesellschaft vom wilhelminischen Kaiserreich bis zur frühen Weimarer Republik entstehen, samt ihrer Erziehungs-, Sexualitäts-, Geschlechter-, und Moralvorstellungen. Durch sein klar strukturiertes Inhaltsverzeichnis eignet sich dieses Werk auch gut zum Nachschlagen einzelner Themenkomplexe.

ReSt

Antje Harms: Von linksradikal bis deutschnational. Jugendbewegung zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik. (Geschichte und Geschlechter.), 580 Seiten, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2021 EUR 49,00