„Kriegerin, Spirituelle und Jammertante“
Soweit die persönliche Selbstzuschreibung der provokanten, berühmten Performancekünstlerin Abramovic. Schonungslos geht sie in ihrer Autobiografie ins Gericht mit sich selbst und ihrer Familie. Einzelkind in einer unglücklichen Ehe im „Tito“-Jugoslawien, beide Eltern waren zuvor serbische PartisanInnen im Zweiten Weltkrieg. Sie wächst nach der Trennung der Eltern bei der überaus strengen Mutter und Großmutter auf. Ihr Verhältnis zur Mutter bleibt zu deren Lebzeiten ein schwieriges, gegenseitig nicht verständnisvolles. Erst nach dem Tod der Mutter entschlüsselt sie durch Gespräche mit einer Verwandten, welches traumatische Erlebnis die Mutter so sehr geprägt hat, dass diese verbittert und hartherzig wurde, und verzeiht ihr durch eine berührende Rede an deren Grab.
Bereits als Jugendliche hatte Abramovic zur Malerei gefunden und rasch erkannt, dass eine dreidimensionale Welt ihrer Kreativität eher gerecht wird. Aufstieg und Fall schwingen in ihrer künstlerischen Karriere und in ihren Beziehungen mit. Sie stellt ihre zwei wichtigsten Beziehungspartner und das Scheitern der Liebesbeziehungen vor. Enttäuschungen erlebt sie zahlreiche, dennoch: viele ihrer Performanceeinfälle, in denen sie sich oft objektiviert, sind großartig und umwerfend. Sie wird heute zurecht als einer der großen Stars in der internationalen Kunstszene euphorisch gefeiert. Auch wenn sie viele Geheimnisse über den Anstrengungsgrad ihrer rituellen Installationen oder Performance und ihrer äußeren körperlichen Verfasstheit in der Autobiografie preis gibt, so reflektiert sie ihre inneren Gefühls-schwankungen nur sehr knapp. Dennoch eine spannende Annähe-rung an die berühmte Künstlerin zu ihrem 70. Geburtstag. Zahlreiche Fotografien ihrer Arbeiten begleiten den Text.
Gertrud Klein
Marina Abramovic: Durch Mauern gehen. Aus dem amerik. Engl. von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann. 475 Seiten, Luchterhand, München 2016 EUR 29,95