Lebewesen sind unwahrscheinliche Gebilde
In Kazimira stellt eine Bernsteingrube am baltischen Meer die “Kulisse“ für einen monumentalen Erzählstrang und viele grausame Geschichten dar. Von der Industrialisierung bis in die 2000er spannt sich der Bogen im Tauziehen über ein karges Stück Land und den damit verbundenen Menschen. Über die Jahrhunderte begleiten wir Frauen: Kazimira, Henriette, Anna, Jadwiga, Helene, Jela und Nadja. Jede mit ihrer eigenen Geschichte, einem Gemisch aus Gewalt, Leid und Unwahrscheinlichkeiten der Liebe und Verbundenheit. Wir treffen ihre Männer: ihre Peiniger und/oder Verbündeten, die uns das Patriarchat personifiziert vorführen und zuweilen das Ringen mit und die Irritation über dessen Ungerechtigkeit. Im Lesen, das sich stets zwischen zeitgeschichtlicher Lektion und biografischer Erzählung bewegt, formt sich ein immer wiederkehrender Gedanke, nicht unbekannt, jedoch gerne weggeschoben: wie sehr eine Biografie davon abhängt, wann und wo wir geboren werden.
Babsi Petritsch
Svenja Leiber: Kazimira. 336 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2021 EUR 24,95