Los der Würde

Cynthia Fleury, Psychoanalytikerin und Philosophin, schreibt nach ihrem letzten Buch über Ressentiments nun eines zur „Klinik (also Heilstätte) der Würde“. „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“, wie es in der Erklärung der Menschenrechte der UNO 1948 heißt. Der Begriff der Würde habe sich einerseits genauso zentral durchgesetzt wie Freiheit und Gleichheit. Andererseits sind „Formen der Entwürdigung nicht mehr außergewöhnlich, sondern üblich“, „in Institutionen und sozialen Praktiken (Krankenhäuser, Altenheime, Gefängnisse, Flüchtlings- oder Migrantenzentren, Armut und Prekarisierung)“. Für ihren dekolonialen Ansatz nimmt sie „die Perspektive der Vulnerabelsten“ ein: im Realen ist die „Klinik der Würde“ geradezu eine „Fabrik der Unwürde“, „nach wie vor die der Gewalt und Herrschaft, mit der kolonialen Institution als Anti-Idealtypus“. Die Erzählungen der ‚Unwürde’, von Leid und Beschämung (exemplarisch von James Baldwin) sollen den Begriff des Universalismus rehabilitieren, durch die universelle Figur des Sklaven, „welche Hautfarbe er auch haben mag“. Auch in der Care-Arbeit kommt der Preis der Fürsorge „erduldeter Gewalt“ gleich. „Insbesondere Frauen und ‚rassialisierte’ Personen erleiden nicht nur die direkte Gewalt der Beherrschung, sondern sie werden auch dazu verpflichtet, für die Herrschenden zu sorgen“. Fleury reklamiert „ein neues Zeitalter des politischen Handelns“ und bietet Lösungsansätze jenseits der Empörung zur Würde in Aktion. Empfehlung!‹kr
Cynthia Fleury: Die Klinik der Würde. Aus dem Franz. von Andrea Hemminger. 150 Seiten, Suhrkamp, Berlin 2024 EUR 24,70