Lyrik ist geschlechtslos. Kann sein. Nein.
Margaret Atwoods gesammelte Poesie unter dem Titel „Die Füchsin – Gedichte 1965-1995“ ist eine zweisprachige Ausgabe übersetzt von mehreren Autorinnen. Der Titel für diesen wuchtigen Sammelband hätte etwas mutiger klingen können (Im Original: „Feuer essen“), was sich folglich bestimmt positiv auf das ganze Buchdesign ausgewirkt hätte, das etwas altbacken daherkommt und die bestehende Aktualität des Inhalts mildert. Ein Fuchs im Schafspelz? Atwood ist eine bedrohlich scharfe Beobachterin, und jedes Gedicht eröffnet ein neues Reich, ein neues Ich, eine neue Welt. Bereits unter den frühen Gedichten der 60er Jahre finden sich aufgeladene Beschreibungen in schnörkelfreier klarer Sprache, z.B. in „Zeitung lesen ist gefährlich“. Wenn die Umweltschützerin Atwood nicht gerade allem Sein dieser Erde und ein paar weiteren Wesen ihre Stimme leiht, sucht sie fast enzyklopädisch nach Inhalt für ihre hungrige poetische Petrischale: Stadtplanung, Liebe, Politiker, Körper, Kinder, oder auch „Fünf Gedichte für Grossmütter“, ein „Schweinegesang“, ein „Rattengesang“, usw.; alles da und in gewohnter Atwood’scher Brutalität. Die kalte Distanz ihres omniszienten unpolitisch umherschweifenden Blicks wird mit der Zeit zunehmend kleiner und anklagender, wenn sie sich dem zuwendet, was ihr zufolge alle Autorinnen und manche Poetinnen tun: Sie beginnt die Welt die sie umgibt zu beschreiben, und wird in dem Moment politisch. Der Band hinterlässt eine neugierig auf die weitere Entwicklung im poetischen Werk.
Judith Rohrmoser
Margaret Atwood: Die Füchsin Gedichte 1965-1995, mit einem Vorwort von Michael Krüger. Aus dem Engl. von Ann Cotten, Ulrike Draesner u.a.
416 Seiten, Berlin Verlag, Berlin/München 2020, EUR 40,00