Mitten ins Herz

Was beschäftigt Schriftstellerinnen aus dem Irak und wodurch unterscheiden sie sich von ihren männlichen Kollegen? „Frauen schreiben von innen nach außen, während Männer von außen nach innen schreiben“, sagt eine der Autorinnen der Anthologie „Mit den Augen von Inana“. In vielen Texten des Buches wird die Lebenswirklichkeit des Irak auf sehr persönliche Weise dargestellt. Man spürt den Druck der konservativen, islamischen Gesellschaft, dem die Frauen ausgesetzt sind. Es sind Geschichten von Gewalt und Flucht, aber auch von Liebe und Sehnsucht. Mehr als die Hälfte der Beiträge sind Gedichte. Das liegt daran, dass in der arabisch-islamischen Tradition Lyrik nach wie vor die höchste Kunstform darstellt. Zeilen wie „Mir träumte der Krieg sei zu Ende / Ich versuchte zu klatschen / Doch hatte ich keine Hände mehr“ und „Wenn die Tauben kommen / Bitten die Flügel für den Flug um Verzeihung“ oder „Ich wette, eine von uns wird ermüden / Damit der Gesang des Blutes bei seinen Grenzen zum Halten kommt / Und die Glocke des Hungers endlich schweigt“, treffen mitten ins Herz. Während die Autorinnen in den Gedichten mit großer Ehrlichkeit aus sich selbst sprechen, sind die Hauptfiguren der Prosatexte interessanterweise fast immer Männer. Die zweite Anthologie zeitgenössischer Autorinnen aus dem Irak ist wie der erste Band nach der sumerischen Göttin „Inana“ benannt. Sie war sowohl die Göttin der Liebe, als auch die Göttin des Krieges. Eine passende Schutzherrin für diese Anthologie.
 Ute Fuith
Mit den Augen von Inana. Zweite Anthologie zeitgenössischer Autorinnen aus dem Irak. Hg. von Amal Ibrahim al-Nussairi und Birgit Svensson. Aus dem Arab. von Stephan Milich (Lyrik) und Günther Orth (Prosa). 110 Seiten, Schiler & Mücke, Berlin/Tübingen 2020, EUR 14,40