Misogynie in ihrer chinesischen Spielart

Gleich auf der ersten Seite zeichnet sich das grundlegende Motiv des Romans mit einer abgeklärten, neutralen Beschreibung der Kastration von Hähnen ab. Es geht um die Kontrolle von Reproduktionsfähigkeit und in weiterer Folge um den größtmöglichen Nutzen von Tieren bzw. Menschen. Vier Generationen von Frauen, ihr Verhältnis zu Sexualität im Zusammenhang mit den jeweiligen staatlichen Restriktionen werden angefangen von den 1950er Jahren bis 2018 beschrieben. Alle Frauen leben, zumindest in ihrer Kindheit, in einem Dorf der Großgemeinde Lanxi in der Provinz Hunan im Süden von China. Der Großmutter wurden noch die Füße gebunden, die Frauen der zwei folgenden Generationen wuchsen in Zeiten der Kulturrevolution mit großen Entbehrungen auf. Allen gemein ist der Mangel an Selbstbestimmung, was Sexualität und Reproduktion angeht. Das dadurch entstandene Leid ist sowohl von körperlicher Art, in die Gebärmutter eingewachsene Metallringe, eiternde Wunden nach Zwangssterilisationen, als auch von psychischer Natur.

Sheng Keyi ist eine großartige Erzählerin. Der Mief von dörflicher und staatlicher Moral, die menschenverachtende Frauenfeindlichkeit sind auf jeder Seite spürbar, aber auch der derzeit in China herrschende Generationenkonflikt und die von Materialismus und Werteverlust geprägte Gesellschaft. Das Lektorat lässt leider an vielen Stellen zu wünschen übrig. Trotzdem: große Empfehlung.

Beate Foltin

Sheng Keyi: Die Gebärmutter. Aus dem Chin. von Frank Meinshausen. 432 Seiten, DuMont Buchverlag, Köln 2023 EUR 25,70