Pathogramm einer Künstlerin
Die Autorin Birgit Seibold hat für ihr Projekt zu Virginia Woolf (1882-1941) vor allem Stellen aus Woolfs Tagebüchern chronologisch kompiliert und montiert. Umrahmt sind diese Zitate und Textstellen von einer biografischen Skizze und kurzen allgemeinen Exkursen zu literarischer Schaffenskraft und bipolarer Störung, zu Mutmaßungen über die Manien, (Angst)Psychosen, Wahnideen und Depressionen, die die britische Dichterin durchlitten hat und mit denen sie kämpfte – bis sich Virginia Woolf am 18. März 1941 die Manteltaschen mit Steinen füllt und in einem Fluss ertränkt. Das Vorwort hat ein psychiatrischer Facharzt geschrieben, aber ob dieses Buch wirklich als „Sachbuch“ zu bezeichnen ist, bleibt ungeklärt: Das Pathogramm der Virginia Woolf gerät thesenhaft, ist leider ohne feministisch-kritische Perspektive und erklärt die Introspektion und künstlerische Sensitivität von Virginia Woolf ursächlich verantwortlich für ihre manisch-depressiven Zustände.
In ihren originalen Tagebuchpassagen versucht Virginia Woolf eindrucksvoll, ihren jeweiligen Geisteszustand phänomenologisch zu beschreiben und so verbal zu fassen: die Abgründe, das Stimmenhören, die zunehmende Verzweiflung. Leider – so Seibold – kam das erste Neuroleptikum (Chlorpromazin) erst ein Jahrzehnt nach Woolfs Tod auf den Markt – es hätte Woolf vielleicht vor dem Suizid bewahren können.
Judith Fischer
Birgit S. Seibold: Virginia Woolf. Schreiben gegen die eigene Krankheit. 112 Seiten, ibidem, Stuttgart 2017 EUR 22,60